Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Bett in der Ecke ging. Schließlich ging es endlich voran.
Sie setzte sich auf die Bettkante und strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe sie sich vorbeugte, um ihren Gefährten auf die Wange zu küssen. Seine Haut glühte. Wenn er die Augen öffnete, fand sie noch immer eine Spur von Humor in seinem Blick, selbst wenn er nicht mehr Geige spielen konnte, nicht einmal an seinen besten Tagen. Sie wusste nicht, was trockener war – seine Lippen oder seine Wangen. Sie drückte seine Hand.
»Hast du den Heimweg gefunden, Gabbi?«, fragte er. Er hatte es zuerst versucht, als er krank wurde; er sollte zurückgehen und Bericht erstatten. Sie sollte bleiben und irgendwann den schwachen Ruf beantworten, dessentwegen sie den langen Weg auf sich genommen hatten. Doch er war nicht weit gekommen. Die Gänge waren im Chaos verloren gegangen, das ihn beinahe auch noch verschluckt hätte. Sie hatte es nach ihm versucht, noch verzweifelter, weil seine Anstrengungen ihn weiter geschwächt hatten und ihr alter Freund vor ihren Augen verging. Sie hatte keinen Ausgang entdeckt. Sie hatten hierher gefunden, doch sie konnten nicht mehr zurück. Jemand hatte den Zugang versperrt, doch das würde sich hoffentlich ändern.
»Noch nicht, aber bis Weihnachten sind wir sicher zu Hause.« Sie lächelte. Er hätte beinahe über das Schauspiel gelacht, das in allen Fernsehshows vorkam, die sie auf dem kleinen Gerät gesehen hatten, das zur Wohnungseinrichtung gehörte.
»Er ist aufgewacht.« Sie drückte noch mal seine Hand und spürte, wie ihn diese Neuigkeit belebte. Ihr ging es genauso. »Er hat mich gerufen – so laut und deutlich, dass ich davon wach geworden bin. Er weiß, dass wir hier sind; er hat zugehört. Er weiß, dass wir krank sind.«
Ihr Gefährte, der immer noch wie der Landstreicher aussah, als der er sich in der letzten Zeit ausgegeben hatte, richtete sich mühsam auf und lehnte sich an sein schweißnasses Kissen.
»Er ist wirklich aufgewacht?«
Sie nickte. »Jetzt verstehe ich das alles – auch warum der Junge so wichtig ist.«
»Gehen wir gleich zu ihm?« Er hatte die Augen aufgerissen, als hätte er mit dieser Nachricht nicht mehr gerechnet. »Es hat so lange gedauert.«
»Er ist noch nicht so weit. Er wird uns Bescheid sagen, wann und wo wir uns treffen.«
»Und dann können wir nach Hause gehen?«
»Dann können wir nach Hause gehen.« Sie lächelte, doch es versetzte ihr einen Stich. Sie
hoffte
inständig, dass sie heimkehren konnten. »Mir geht es schon besser«, fügte sie hinzu. »Dir auch?«
»Spiel mir etwas vor«, bat er sie, nachdem sie eine Minute schweigend zusammengesessen hatten. »Es sollte immer überall Musik geben.«
Sie tat ihm den Gefallen.
Er geht durch die bitterkalte Nacht, seine Schritte dröhnen auf dem Asphalt und trommeln seine Wut heraus. Sein Zorn macht ihn so stark wie lange nicht mehr und er unterdrückt das Bedürfnis, alles zu werden, was er ist und diesen winzigen schwachen Körper abzuschütteln. Doch diese Energieverschwendung kann er sich nicht leisten; er müsste später teuer dafür bezahlen. Neuerdings muss er solche Überlegungen anstellen.
An der Station Embankment macht er eine Pause und blickt auf die andere Seite der Stadt hinaus, die von dem mitternächtlichen Fluss zerschnitten wird. Fröhlich tanzen die Lichter und weiter vorn trotzt eine erleuchtete Brücke der Nacht. Es ist schön, aber dieser Gedanke steigert seine Verbitterung. Dennoch ist sie ihm lieber als die Angst, mit der er sich in seinem vermodernden Körper noch schwächer fühlt. Wenn er sich fürchtet, hat er das Gefühl, einer von ihnen zu sein, und das ist unerträglich.
Er kehrt dem Wasser den Rücken zu und stellt sich dem beißenden Wind. Seine Wut auf die Situation, in der sie sich befinden, ist verraucht. Er würde sich ausruhen und Pläne schmieden – morgen. Aufgeben kommt nicht infrage – das hat er noch nie getan. Doch heute Abend würde er seine Macht auf andere Art zeigen. Es ist an der Zeit, sein Wort zu verbreiten. Er lächelt, zum ersten Mal an diesem Abend.
Cass war wieder in dem Traum, der kein richtiger Ort war, aber irgendein Platz
dazwischen
– eine Falle. Er wurde an die helle Wand gedrückt, festgehalten von einem unverständlichen Druck, und vor ihm standen sich sein toter Bruder und sein toter Vater gegenüber. Sein Vater war von Kopf bis Fuß eingehüllt von Feuer, sein dünnes Haar wehte in den orangefarbenen und roten Flammen nach oben, als
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