Der Atem der Apokalypse (German Edition)
bestellten. Jedes Mal, wenn die Tür aufging und rotgesichtige Kunden mit laufender Nase hereinkamen, wehte ein eisiger Windhauch um die Tische, so trocken, dass es sicher bald schneien würde. Ein perfekter Vorweihnachtsabend.
Hask starrte auf seinen Wodka Tonic. Er hatte halbherzig begonnen zu trinken, doch sein Magen sträubte sich dagegen. Auch Ramsey hatte sein Bier kaum angerührt.
»Morgen um diese Zeit«, sagte der Amerikaner leise, »wird kein Mensch hier sein. Meinen Sie nicht auch?«
»Wahrscheinlich. Schlimmer noch: Alle werden zu Hause bleiben und überlegen, mit wem sie gestern oder in der letzten Woche geredet oder geschlafen haben.«
»Die Testcenter werden völlig überlaufen sein. Immerhin bekommt die Regierung dann einen Vorgeschmack darauf, wie sich Strain II wirklich in der Bevölkerung verbreitet.«
»Glauben Sie?« Hask lehnte sich zurück und verschränkte die Hände über seinem gewaltigen Bauch. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Die meisten Menschen wollen es eigentlich gar nicht wissen. Wie viele Tests haben Sie vor diesem Virus machen lassen? Ich meine, als es noch um das gute alte Aids ging?«
Ramsey antwortete nicht.
»Ich habe mich auch nicht testen lassen.« Hask lächelte. »Aber es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, ich wäre immer auf Nummer Sicher gegangen. Ich habe einfach gehofft, dass alles gut geht, und gedacht, dass so etwas normalerweise anderen Leuten passiert. Ärmeren Leuten.« Er seufzte. »Unser Mann versucht, das Spielfeld zu ebnen.«
Um sie herum lachten und scherzten die Leute voll von dem Optimismus, der sich einstellt, wenn ein Jahr zu Ende geht und ein neues vor der Tür steht. Hask beneidete sie um ihre Unwissenheit – zumindest an diesem Abend.
»Manchmal denke ich, dass die Welt auf Messers Schneide steht. Irgendwie herrscht überall eine merkwürdige Atmosphäre. Ist Ihnen das auch aufgefallen?« Ramsey griff nach seinem Pint und trank zwei große Schlucke.
»Wir sind in London. Da herrscht alle zehn Minuten eine andere Atmosphäre, je nachdem, wo man ist«, sagte Hask.
»Nein, das ist anders, es liegt in der Luft. Es ist, als würde man etwas verschwommen aus dem Augenwinkel sehen – etwas Großes, das wir alle nicht mitkriegen. Dann ist es wieder weg und ich frage mich, ob ich langsam verrückt werde.« Das Gesicht des Amerikaners war vor Sorge verzerrt, sein Blick düster.
»Geht es Ihnen nicht gut?« Hask musterte ihn eindringlich. »Vielleicht sollten Sie ein paar Tage frei machen. Sie haben in letzter Zeit zu viel um die Ohren gehabt und es kann nur schlimmer werden.«
»Schon gut, Doc.« Ramsey lachte freundlich. »Ich drehe nicht durch. Ich habe nur ein ungutes Gefühl – als sollte ich etwas wissen, worauf ich beim besten Willen nicht komme. Aber das werde ich schon herausfinden.«
»Vielleicht hat es mit Cass Jones zu tun.«
»Ja, das geht mir wirklich nicht aus dem Kopf.«
»Verdammt, wo steckt er bloß?«
»Dem fällt doch immer etwas ein.« Ramsey grinste. »Vielleicht sitzt er irgendwo in Südfrankreich auf einem Boot.«
»Kaum. Seine Konten sind gesperrt.« Hask trank seinen Wodka. »Das fand ich immer schon komisch.«
»Was?«
»Cass ist nicht dumm; wenn er vorgehabt hätte, ein paar Morde zu begehen, hätte er doch für den Fall der Fälle irgendwo sein Geld geparkt, oder? Schließlich ist er alles andere als pleite. Warum hat er dann nicht ein paar Hunderttausend auf die Seite geschafft, wir hätten ihn nicht daran hindern können?«
Ramsey beugte sich vor. Jetzt war er ganz bei der Sache. »Es gibt so einiges, was ich nicht verstehe. Haben Sie gesehen, wie viel Material Perry Jordan für ihn gesammelt hat? Cass hatte den Verdacht, dass mit dem Jungen seines Bruders etwas nicht stimmte, und wenn man es genau betrachtet, kann man ihn gut verstehen.«
»Glauben Sie denn, dass er die beiden Männer umgebracht hat? Bradley und Powell?« Das war die entscheidende Frage, die beide Männer einander bisher nicht gestellt hatten, seit ihnen der Fall um die Ohren geflogen war. Die Beweislage sprach Cass schuldig, das stand außer Frage. In den ersten Tagen hatte das möglicherweise über ihr Bauchgefühl gesiegt, doch jetzt, da sich der Staub gelegt hatte, wusste Tim Hask genau, was er glaubte: Cass Jones hatte früher möglicherweise jemanden ermordet, aber er war kein
Mörder
. Cass Jones war ein anständiger Mann, auch wenn er so tat, als wäre es anders. Die Frage war nur, ob DI Ramsey das genauso sah?
»Ich
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