Der Atem der Apokalypse (German Edition)
beiden Männer wechselten, bevor sie sich zur Tür wandten. Da bahnte sich ein Bündnis an. Mr Dublin konnte Mr Craven nicht ausstehen, aber das würde ihn nicht davon abhalten, mit ihm über die neueste Entwicklung zu sprechen und zu überlegen, wie sich die Zirkel verhalten sollten. Alles verlief genau, wie Mr Bright es sich gedacht hatte. Sicher, die Angelegenheit war gefährlich, doch er war noch nicht bereit, allen zu zeigen, was er auf der Hand hatte. Das würde er später tun, wenn alles, aber auch alles nach Plan lief. Außerdem würde Mr Dublin nicht so weit gehen, sich auf Mr Cravens Seite zu schlagen, und Letzterer würde sich absichern. Die beiden würden unterschiedlich an die Dinge herangehen, und das würden sie auch bald merken. Sie konnten ihm Probleme bereiten, doch sie würden nie zusammenarbeiten, jedenfalls nicht so wie er, Solomon und der Erste es getan hatten, und allein kam keiner gegen ihn an.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, zog er seine Handschuhe aus und legte sie auf den Beistelltisch, ehe er ein Papiertaschentuch aus der Box zog und dem alten Mann freundlich das Gesicht abwischte. Als er ihn berührte, weinte der Alte noch mehr. Mr Bright legte ihm kurz die Hand auf die heiße trockene Stirn.
»Du musst keine Angst haben«, sagte er und lächelte das bettlägerige Wesen sanft an. »Ich kümmere mich um dich. Ich bringe dich in Sicherheit.«
Als dem Patienten erneut die Tränen kamen, zog sich Mr Brights Herz vor Mitleid und erheblichen Schuldgefühlen zusammen. Wenn der andere wüsste, welche Bürden er für sie schulterte – für sie alle. Er war kein Ungeheuer, doch er hatte in ihrem Interesse ungeheuerliche Dinge getan.
Mr Bright drückte dem alten Mann die Hand, der sie kraftlos zurückzog. Sollte er die Krankenschwester bitten, der Kreatur in diesem Bett ein Beruhigungsmittel zu geben? Er entschied sich dagegen. Wenn er in die Bewusstlosigkeit zurückfiele, konnte das verheerende Folgen haben. Er würde abwarten, was geschah. Mr Bright trat vom Bett zurück und lächelte. Die Zeit des Wartens war lang gewesen, doch er war recht zuversichtlich, dass der Plan aufgehen würde, den er beim ersten Krankheitsanzeichen des Ersten geschmiedet hatte. Voller Vorfreude klopfte sein Herz schneller, ein angenehm aufregendes Gefühl, das er lange nicht gehabt hatte. Er fühlte sich wieder jung, wie
früher
, als sie alle noch so verwegen gewesen waren.
Als Mr Bright aus dem Zimmer ging, tat er es federnden Schrittes. Er musste telefonieren. Als er im Erdgeschoss des Senate House ankam, hatte er die Tränen des alten Mannes bereits vergessen.
Zum ersten Mal seit Wochen war ihr nach Musik zumute. Sie starrte aus dem schmutzigen Fenster der kleinen Dachgeschosswohnung auf die unter ihr liegende Welt. Obwohl sie noch Energie und Aufregung empfand, war ihr die grenzenlose Zuversicht vergangen. Artie Mullins hatte ihnen Cass Jones erwartungsgemäß abgenommen, und damals hatte sie das gut gefunden, weil sie ihn im Auge behalten konnte, ohne Fragen beantworten zu müssen. Eins hatte sie nämlich begriffen:
Sie
hatten immer Fragen – Fragen über Fragen. Wenn es so weit war, würde sie ihn wieder holen. Doch dann waren sie immer schwächer geworden.
In den letzten zwei Wochen, diesen sonderbaren Tagen und Nächten, die ineinander übergingen, konnte sie nicht einmal mehr spielen. Sie war nicht über sich selbst hinausgewachsen. Sie war
klein
geblieben. Manchmal, wenn ihr alter Freund in den stillen Nachtstunden im Fieberwahn murmelte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass diese hektische, harte Welt sie verzehrte. Sie waren gar nicht darauf gekommen, dass sie eventuell nicht zurückkehren könnten – und nicht nur sie – schließlich war sie nur die Gesandte und er ihr Gefährte.
Er
hatte offenbar auch nicht daran gedacht. Oder es war ein Risiko, das er eben eingegangen war. Falls sie nicht wiederkamen, reichte diese Information möglicherweise aus.
Eisblumen rankten draußen auf der Scheibe wie tote Adern. Es gab hier so viel verborgene Schönheit, dass sie manchmal überrascht war. Sie atmete lange aus und sah zu, wie sich die Luft an der Scheibe niederschlug. Sie fühlte die feuchte Hitze auf ihrem Gesicht und ignorierte den süßlich fauligen Geruch. Daran hatte sie sich mittlerweile gewöhnt, ebenso wie an die Blutflecke auf ihrem blasser werdenden Zahnfleisch. Doch vielleicht war doch noch nicht alles verloren, dachte sie, als sie sich vom Fenster abwandte und zu dem
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