Der Atem der Apokalypse (German Edition)
Pause gewesen, nachdem der Erste ihr den Namen in dem Raum zwischen Körpern und Orten genannt hatte. Dieser Name war ihr sehr lange nicht mehr in den Sinn gekommen. Ihr Herz hatte auf eine Weise wehgetan, die sie fast schon vergessen hatte.
»Wieso er?«
»Es liegt an ihm, dass wir nicht nach Hause gehen können.« Sie war froh, dass ihre Stimme noch leicht und melodisch klang.
»Wo ist er?« Der alte Mann sah nachdenklich aus.
»Er weiß es nicht. Er hat nur gesagt dass wir ihn suchen sollen.«
»Er
weiß
es nicht?«
»Er hat sehr lange geschlafen.«
»So lange nun auch wieder nicht – er hat uns gerufen, ehe er anfing zu schlafen. Das hat er jedenfalls gesagt.«
Sie musterte den alten Mann forschend. So misstrauisch hatte sie ihn noch nie erlebt.
»Vielleicht hatte er Pretorius’ Spur verloren.« Ihre Stimme wurde weicher. »Er war nie wirklich wie sie.«
»Er war nie wirklich einer von uns.«
»Das stimmt.«
Sie saßen schweigend beieinander. In der Stille hingen beide ihren Erinnerungen nach.
»Es ist alles schon ganz schön lange her, nicht wahr?«, fragte er schließlich.
»Da hast du recht.«
»In der Zeit haben sie das alles hier gemacht. Das ist nicht wenig.«
Das Schweigen dauerte an, während es draußen dunkler wurde.
»Eins stört mich dennoch«, sagte der alte Mann nach einer Weile mit einer kräftigeren Stimme.
»Was denn?« Sie ahnte, was kommen würde. Der Gedanke war ihr auch durch den Kopf gegangen, und wenn sie nach dieser langen, langen Lebenszeit irgendwen gut kannte, dann den alten Mann – den alten Geist.
»Der Erste muss doch gewusst haben, dass es auf dich und mich hinauslaufen würde, wenn er nach uns rief. Wer hätte sonst ausgesandt werden sollen?«
»Ganz richtig.«
»Wir standen uns nahe«, sagte er. »Er stellte mich hier in seine Legenden. Es hat mich zum Lächeln gebracht, das zu sehen.« Er lächelte sie an. »Und dich auch.«
»Er hatte uns noch gern – sogar damals, nach all dem, was passiert ist –, so wie auch wir ihn noch mögen. Er war der Erste. Er
ist
der Erste.«
»Warum hat er es uns dann nicht gesagt, bevor wir gekommen sind? Warum hat er uns verschwiegen, dass er nicht weiß, wie man nach Hause kommt?«
»Es hat ihn schon viel Kraft gekostet, uns zu rufen. Das hat ihn gefährlich geschwächt.« Das war keine Antwort auf seine Fragen, auch wenn das, was sie sagte, stimmte. »Vielleicht war er verzweifelt.«
»Wir wären trotzdem gekommen.« Der alte Mann lächelte. »
Er
hätte immer uns geschickt, und wir wären gerne gegangen, du und ich.« Die Furche zwischen seinen Augen wurde tiefer. »Warum hat er uns also nicht gesagt, dass wir vielleicht nicht zurückfinden?«
Sie schwiegen erneut, es war vielleicht ein ehrlicheres Schweigen, während sie über ihren Platz in der Hierarchie nachgrübelten. Schließlich seufzte sie und lächelte, ehe sie mit der schlanken Schulter zuckte. »Wie der Vater, so der Sohn, mein alter Freund. Wie der Vater, so der Sohn.«
Mr Craven war erschöpft. Das war dumm gewesen, aber er konnte nicht anders. Er musste
werden
, weil er so wütend gewesen war, auch wenn es ihn teuer zu stehen kam. Er spürte es überall in seinem ausgemergelten Körper, in dem scharfen Schmerz in seiner Lunge. Er hatte sich die eigene
Zeit
gestohlen – wie viel wohl? Tage, Monate? Früher hatte Zeit keine Rolle gespielt. Als er mit dem Rücken an der Wand saß, konnte er die blutige Schweinerei auf dem Bett sehen. Für den Jungen war Zeit auch nicht mehr wichtig. Er lachte ein kurzes, feuchtes Lachen. Immerhin einer, den er überlebte.
Er rappelte sich mühsam auf und schleppte sich in das angrenzende Zimmer. Die verhedderten Laken und die Teller auf dem Boden ignorierte er geflissentlich. Darum konnten sich die Putzfrauen kümmern, wenn er weg war – obwohl ihnen wahrscheinlich nicht als Erstes die Unordnung ins Auge fallen würde. Hotelangestellte sahen die seltsamsten Leute in ihren Suiten kommen und gehen – schließlich war das der einzige Grund, warum man so viel Geld dafür hinlegte –, doch er bezweifelte, dass einer von ihnen schon mal etwas in der Preislage gesehen hatte, was er ihnen heute hinterließ.
Er warf einen Blick über die Schulter auf die Überreste des Jungen. Es war durchaus möglich, dass er hier eine Grenze überschritten hatte. Als er angesichts dieser Untertreibung fast wieder kichern musste, fragte er sich nicht zum ersten Mal in aller Muße, ob er verrückt wurde. Doch dann schloss er, dass
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