Der Atem der Apokalypse (German Edition)
es eine lange Nacht gewesen, aber allmählich sah es so aus, als hätten sie wieder alles im Griff. Er schenkte sich frischen Kaffee nach, goss Sahne hinzu und rührte einen Teelöffel Zucker hinein. Das passte zu diesem Morgen. Später wollte er noch Gebäck und noch später vielleicht sogar ein richtiges Frühstück zu sich nehmen, doch im Augenblick reichte ihm der Geschmack des bittersüßen, heißen Getränks.
Er war recht zufrieden, auch wenn viele um ihn herum noch das Gefühl hatten, am Rande einer Katastrophe zu schweben. Irgendwer hatte sich eine goldene Nase damit verdient, ihnen die eigenen Aktien zurückzuverkaufen, und irgendwann in naher Zukunft wollte er auch herausfinden, wer das gewesen war. Doch im Augenblick freute er sich einfach nur, dass er die Krise bewältigt hatte. Der Virus in den X-Konten arbeitete noch, sodass die Zahlen schneller wechselten als man gucken konnte, doch das würde aufhören und dann würde er dafür sorgen, dass der Rückkauf der Aktien über sein Konto finanziert wurde.
Insgesamt hielt sich der Schaden in Grenzen. Das Vertrauen war ein wenig erschüttert, aber das ließ sich regeln. Dafür musste Die Bank in den nächsten Wochen nur einige größere Transaktionen ankündigen – große Investitionen zum Nutzen des Landes und der ganzen Welt, und schon würden sie wieder als Retter der Weltwirtschaft angesehen. Blendwerk für die Bevölkerung, die sich dann wieder vollkommen sicher fühlen und rasch vergessen würde, wie sie für einen kurzen heiklen Moment einen Blick hinter die Fassade erhascht und begriffen hatte, dass alles von der Stabilität Der Bank abhing; dass es nichts anderes mehr gab.
Er trank den Kaffee und dachte an DeVore. Es konnte gut sein, dass die Welt einen Börsencrash bald gar nicht mehr so schlimm fand. Gleich war es sieben Uhr morgens und der dunkelblaue Himmel malte Flecken in die Schwärze des Weltraums. Er dachte an Mr Rasnic, Mr Bellew und die anderen, die sich dort draußen teilweise verloren hatten und im Chaos schrien. Würde
er
auch nur anhalten, wenn er auf dem Weg hierher daran vorbeikam? Mr Bright glaubte es nicht so richtig.
Als das Telefon klingelte, wandte er sich vom Fenster ab. Jener Tag war noch nicht gekommen; er musste erst durch diese Geschichte durch. Mr Bright nahm ab.
Der Anrufer redete so schnell, dass er zunächst gar nichts verstand.
»Sagen Sie das noch mal – aber langsam«, sagte er, als der andere kurz Luft holte. Mr Bright hörte genau zu und legte auf, ohne ein Wort dazu zu sagen. Ihm schwirrte der Kopf. Der Junge war verschwunden. Cassius Jones hatte ihm den Jungen weggenommen. Auf einmal wurde der Sinn und Zweck des Hackerangriffs brutal offensichtlich: Jones hatte seinen Neffen gesucht und der Polizist, der
Detective
in ihm hatte ihn gefunden, irgendwo in Castor Brights eigenen Aufzeichnungen.
Bei allem Ärger war Mr Bright doch auch ein bisschen stolz. Cassius Jones hatte, was sowohl seinem Vater als auch seinem Bruder gefehlt hatte. Er war knallhart. Er wurde mehr von Wut als von Liebe angetrieben und war zu stolz, sich irgendwem zu beugen. Das brachte Mr Bright zum Lächeln. Alan Jones hatte Luke aufgegeben, aber sein ältester Sohn war es, der die Blutlinie in dieser besonderen Familie am besten vertrat.
Cass hatte also den Jungen. Das verwirrte und verstörte ihn. Hier wurde ein heimliches Spiel gespielt und täglich kamen neue Puzzleteilchen ans Licht. Bald würde er sich eingestehen müssen, dass seine Zweifel wohlbegründet waren. Er war davon ausgegangen, dass der Junge in Calthorpe House sicher war – jedenfalls hatte er nicht damit gerechnet, dass er da herauskam. Er biss die Zähne zusammen. Das wäre ein schlechter Zeitpunkt für Mr Dublin, nachzubohren, was er eigentlich mit dem Kind getan hatte. Er, nein
sie
hatten vorgehabt, es in großem Stil zu verraten. Jemand hatte den Plan geändert, ohne ihm etwas zu sagen. Und wenn
er
es nicht war – und er war es nicht, kam nur noch
eine
andere Person infrage.
Das Klingeln des Telefons unterbrach seine Überlegungen.
»Was?«, zischte er in den Hörer.
»Mr Bright.« Kaum hörte er die sanfte Stimme in der Leitung, bereute er auch schon, dass er so unüberhörbar ärgerlich geklungen hatte.
»Mr Dublin«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wir möchten Sie bitten, zum Senate House zu kommen. Ich brauche Ihre geschätzte Hilfe bei der Aufklärung einiger Unsicherheiten hinsichtlich der unglücklichen Ereignisse in Der
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