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Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Titel: Der Atem der Apokalypse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Pinborough
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gefallen. Meinen Sie den Jungen im Untergeschoss? Der im Koma liegt?
    Koma?
    Ja, er ist mehr oder weniger in einer Art Trance. Angeblich ist es psychosomatisch. Er ist nicht bei mir in Behandlung.
    Aber Sie könnten zu ihm gehen?
    Selbstverständlich. Ich bin schließlich Arzt.
    Bekommt er Besuch?
    Das weiß ich nicht – ab und zu vielleicht. Keine Familienangehörigen. Ich glaube, sein Großvater hat ihn eingeliefert.
    Großvater.
Cass hätte beinahe laut gelacht. Nein, wollte er sagen, sein Großvater ist der Tote, der ihn verschachert hat. Dieser Mann ist jemand anderes. Als eine Krankenschwester um die Ecke bog, blieb Cass fast das Herz stehen, doch die Frau nickte nur knapp, als sie aneinander vorbeigingen. Bis jetzt hatte er wirklich Glück gehabt. In Gedanken gab Cromers nervöse Stimme ihm weitere Anweisungen:
Gehen Sie weiter den Flur entlang bis um die Ecke. Dann geht in der Mitte eine kleine Treppe ab. Sie führt nur abwärts. Die müssen Sie nehmen.
    Je weiter Cass nach unten ging, umso kühler wurde es, und auch wenn die Treppe und der Flur gut beleuchtet waren, machte die Umgebung einen verlassenen Eindruck. Seine Schritte hallten noch lauter und mit der hübschen Einrichtung war es hier unten endgültig vorbei. Es gab nur drei Türen und wenn er Cromer glauben durfte, lag Luke hinter der, die am weitesten von ihm entfernt war. Cass’ Mund wurde trocken und sein Herz raste. Er hatte nicht etwa Angst, geschnappt zu werden; Cass hatte alle anderen Wesen in diesem Haus völlig vergessen. Es war die pure Vorfreude, gleich am Ziel zu sein. Er spürte noch einmal kurz Trauer um den kleinen toten Jungen, den er als seinen Neffen geliebt hatte, gemischt mit einem Schuldgefühl, weil er froh war, dass der Junge, den Christian und Jessica als ihren Sohn großgezogen hatten, anstelle des Jungen gestorben war, den er gleich kennenlernen würde. Seinen
echten
Neffen.
    Er bekam eine Gänsehaut, als er auf die Tür zuging und noch einen Blick zurückwarf, als müsste dort eigentlich Christians Geist stehen. Doch der Flur war leer und er war ehrlich enttäuscht. Das war Christians Augenblick, die Erfüllung seiner Wünsche übers Grab hinaus. Dieses eine Mal hätten die Brüder Seite an Seite stehen und die Zeit aufholen können, die sie nicht miteinander verbracht hatten. Nach all dem Verrat brachte Cass endlich etwas in Ordnung. Er hatte nicht gemerkt, wie sehr er gehofft hatte, Christian würde das irgendwie wissen.
    Die Tür war aus Metall, wie eine Gefängnistür, aber weiß lackiert und mit einem Schiebefenster in der Mitte. Cass steckte die Karte in den erwartungsvollen Schlitz und es piepte, bis die Tür klickte und summte. Auf einmal hatte er schweißnasse Hände, als er die Klinke hinunterdrückte. Die Tür schwang auf.
    Er hatte gedacht, der Junge würde schlafen, doch er saß leicht aufgerichtet im Bett und starrte Cass mit großen blauen Augen –
genau wie Christians
 – und leicht geöffnetem Mund an.
    »Ich habe keinen Lärm gemacht«, flüsterte er.
    Einen Augenblick lang war Cass verwirrt, doch dann fiel ihm ein, dass er den weißen Kittel mit dem Emblem von Calthorpe House trug. Leise zog er die Tür hinter sich zu. Seine Haut kribbelte nervös. Er wusste nicht, wie aufmerksam das Pflegepersonal hier war, doch das System würde anzeigen, dass er gerade das Zimmer des Jungen betreten hatte. Möglicherweise würde eine Krankenschwester nach unten kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Er musste rasch handeln – wenn es irgendwie ging, ohne den Jungen in Panik zu versetzen. Wharton und Osborne hatten brutal und praktisch Chloroform vorgeschlagen, aber Cass hatte sich geweigert. Jetzt fragte er sich, ob das nicht ein wenig voreilig gewesen war. Andererseits sah der dünne Junge im Bett nicht sonderlich gesund aus und selbst wenn er ein Betäubungsmittel mitgebracht hätte, hätte er es jetzt wahrscheinlich nicht benutzt.
    »Alles in Ordnung, du hast nichts verkehrt gemacht.« Er lächelte und setzte sich auf die Bettkante. Der Junge hatte Christians Augen und sein Gesicht, doch sein Haar war dunkel wie das von Cass, dem das Herz wehtat, wenn er ihn nur ansah. Er sah so mager aus in dem Schlafanzug und seine Haut war so bleich, dass die blauen Adern an seinem Hals durchschienen. Hatte er je die Sonne gesehen, seit er in Calthorpe House festgehalten wurde? Das Zimmer im Untergeschoss hatte kein Fenster. Cass knirschte mit den Zähnen, als ihn eine Woge von Hass auf Mr Bright erfüllte. Dafür sollte

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