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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Gute. »Ich habe dir ein feines Gackgack-Ei gekocht«, sagte sie.
    »Ich bin kein Baby«, erwiderte ich und sank zurück in den Strom der Zeit, Tag und Nacht, Schwärze und Helligkeit, Lärm und Stille, mein Zimmer und das Boot, und alles überlappte sich, keine Zwischenräume. Ich lag darin wie ein Igel im Winter, schön warm eingekuschelt, draußen die Welt existierte, ohne dass es mich kümmerte, genau wie die himmlischen Gefilde jenseits des Firmaments oder die Welt der Luft über den untermeerischen Welten. Ich erkannte die Weisheit von Katzen und alten Hunden, die die Zeit wegschlafen. Wenn ich mich hochrappelte, dann nur, um wieder hinzusinken. In diesem Zustand befand ich mich sogar, wenn ich aufstand und herumlief, um meiner Mama hin und wieder eine Freude zu bereiten. Scheu erschien ich, saß am Tisch und spielte mit dem Essen, holte Kohlen aus dem Keller und passte auf David auf. Das war einfach. Er war ein friedliches Kind, und er fand mich sehr interessant. Das heißt, er studierte höchst zufrieden und sehr aufmerksam mein Gesicht und hatte dabei eine nachdenkliche Falte auf der Stirn. Und wenn er das nicht tat, redete er vergnügt mit seiner Eisenbahn, einem langen hölzernen Ding namens Dob, das Charley Grant ihm gebastelt hatte. Ein paar Wörter waren schon zu verstehen, nicht nur Mama und Papa. Er kam an mit Begriffen wie Hose und Bettchen und Hündchen und Baby und trinken und regnen. Und mit Nein, was er sehr oft sagte. Der Rest war Gebrabbel. Ich konnte eine Menge Pluspunkte bei Mama sammeln, wenn ich auf David aufpasste, und in meinem eingeigelten Zustand fiel mir das nicht besonders schwer, weshalb es zu einer Art Hauptbeschäftigung wurde, wenn ich, unter der weichen Schutzdecke meines Faultierdaseins, dahindämmerte, lahm, leer
im Kopf, ein entsetzlicher Langweiler. Während Panik wie ein Wal in den tieferen Tiefen rumorte.
    Eines Abends ging ich aus. Ich ging ins alte Spoony und wurde wie der verlorene Sohn begrüßt. Bob Barry setzte sich an meinen Tisch und bezahlte all meine Getränke, alte Gesichter lächelten mir zu, neue schnappten die Geschichte auf und drehten sich nach mir um. Ich war die Attraktion des Abends. Weiß der Himmel, wie ich später nach Hause kam. Ich schüttete mich regelrecht zu. Sie hatten einen großen schmuddeligen Ober und einen neuen kleinen Schankjungen von vielleicht neun Jahren, der gar nicht genug von mir bekommen konnte. Obwohl mir von dem Wirbel in der Schenke der Kopf schwirrte, erinnere ich mich noch gut, wie ich dort als einsamer Mittelpunkt sitze, sein eifriges, freches, kleines Punktgesicht, das wie verrückt grinst, direkt vor meiner Nase. »Hallo, Mister!«
    »Hallo«, erwiderte ich.
    »Soll ich Ihnen eine Pfeife besorgen?«
    Ich dachte nach. Eine Pfeife. Das wäre nett.
    Beglückt lief er fort und kehrte mit einer gut gestopften Meerschaumpfeife zurück, deren geschnitzter Kopf eine üppige nackte Frau darstellte. Er setzte sie mir beflissen zwischen die Lippen und zündete sie sorgfältig an. Sie zog herrlich und füllte meine Lunge mit Wärme.
    »Danke«, sagte ich.
    »Mister.« Er trat einen Schritt zurück. »Wie war das?«
    Ich ließ mir Zeit, lehnte mich zurück und blies eine dünne Rauchwolke in die Luft.
    »Was?«, fragte ich. »Welcher Teil?«
    »Ich weiß nicht. Alles.«
    »Alles?« Ich lachte.
    Viel später rückte er damit heraus, was er eigentlich hören wollte. Er würde gern wissen, wie es schmeckte. Wie Schweinefleisch? Er hätte gehört, es sei wie Schweinefleisch.
    »Ein bisschen«, sagte ich. »Nicht ganz.«
    »Wie nicht ganz?«
    »Weiß ich nicht.«
    »War es lecker?«
    Ich antwortete nicht.
    »Wollen Sie es mir nicht erzählen?«
    »Nein.«
    Er wollte eine Geschichte. Etwas Grausiges. Ich habe eine Geschichte, eine sehr schreckliche. Aber ich werde keine Geschichten erzählen. Er begreift überhaupt nichts: Es geht nicht um diese Art Geschichte. Ich habe nicht mit Grausigem, ich habe mit Schmerz und Trauer zu kämpfen. Das ist zu viel und lässt sich nicht erzählen. Was soll ich damit anstellen?
    Damit leben.
    Also trollte ich mich nach Hause und wieder ins Bett, und wenn irgendjemand kam, versteckte ich mich oben. Sie ließen mich. Wahnsinn gewährt einem Freiheit, ich musste mich für nichts rechtfertigen. Die Welt schuldete mir ein wenig Frieden. Ich tauchte wieder mit dem Kopf unter und ließ die süßen kleinen Fische an meiner Nase knibbeln. Oh süßer Schlaf, süßer süßer süßer . . .
    So ging es acht Monate

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