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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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ziemlich gut zurecht«, erklärte sie. »Wie geht es deiner Mama, Jaff?«
    »Gut«, sagte ich. »Ich muss allerdings sagen, dass es schon ein kleiner Schock war, als ich diesen Knirps da sitzen sah.«
    »Ach ja.« Sie lächelte. »Das haben wir uns gedacht. Der kleine David. Ist aber doch wirklich süß? Er erinnert mich an dich.«
    Ich wagte einen Blick, aber sie beobachtete ihre Mutter.
    »So, und nun sag uns, was du uns zu sagen hast, Jaffy«, erklärte Mrs Linver und beugte sich vor.
    »Lass ihn in Ruhe, Mutter«, sagte Ishbel und klang angestrengt. »Lass ihn wenigstens seinen Tee trinken.«
    »Schon gut«, sagte ich, »ich habe nicht die Absicht, irgendetwas zu verschweigen, nur fällt es mir eben schwer, die Worte zu finden. Das müssen Sie verstehen.«
    »Natürlich«, sagte Ishbel.
    »Ich möchte mich einfach vergewissern«, erklärte seine Mutter, »dass er nicht allzu sehr gelitten hat, und ich möchte wissen, ob es schnell vorbei war. Ganz am Schluss, meine ich. Das ist alles, was ich wissen möchte. Und da sollst du mir die Wahrheit sagen.«
    »Er ging, bevor es richtig schlimm wurde«, sagte ich. »Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es kein Leiden gab, das gab es, für alle, aber er ging, bevor es richtig schlimm wurde.«
    Es folgte ein langes, schmerzhaftes Schweigen. Ich konnte sie nicht anschauen.
    »Das mit dem Auslosen soll seine Idee gewesen sein«, sagte seine Mutter.
    »Das stimmt. Aber wir waren alle einverstanden.«
    Ich blickte hoch. Beide starrten sie mich an, und das Blut brauste mir in den Ohren.
    »Er war nicht unterzukriegen«, sagte ich. »Tim hat sich nie gehenlassen.«
    Die Augen seiner Mutter wurden riesig.
    »Er hat mir aufgetragen, Ihnen beiden zu sagen, er habe sich gut gefühlt. Ich weiß, das klingt seltsam, aber das hat er mir aufgetragen. Sag ihnen, mir geht es gut.«
    Ishbel kreischte: »Oh! Idiot!«, und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Sagte, es geht ihm gut, und ihr sollt euch nicht grämen.«
    Sie lachte. Wir alle lachten, eine Sekunde lang.
    »Oh!«, rief sie, »ist das nicht typisch für ihn?«
    Da saßen wir drei nun, und Tränen liefen uns übers Gesicht.
    »Er war so gelassen«, sagte ich. »Wirklich, das war er. Ich glaube nicht, dass ich so gelassen gewesen wäre. Er war –«
    Mir blieb die Stimme weg.
    Mrs Linver putzte sich die Nase.
    »Es tut mir so leid, Mrs Linver«, sagte ich, und es gab nichts, was ich hätte tun können, damit es jemals besser würde. Hier war ich, und er war tot, und zwischen uns stand das unausgesprochene Entsetzen darüber, was aus ihm geworden war, was ich getan hatte. Ich spürte ihn immer wieder von Neuem, den Druck meines Fingers auf dem Abzug.
    Ishbel wischte sich mit beiden Handflächen die Wangen. »Ich geh den Tee holen«, sagte sie, rappelte sich hoch und verschwand. Ich litt Höllenqualen, wäre am liebsten weggerannt, saß aber da, starr wie ein Käfer in Bernstein.
    »Wirklich«, sagte ich, »er war sehr, sehr tapfer.«
    Blöde Worte.
    Mrs Linver nickte, legte die Stirn in tiefe Falten, wandte sich ab und blickte ins Feuer. Die Kohlen verrutschten. Die Geräusche der Menschen auf der Straße schienen aus einem Traum
land zu kommen, hallten wie in einer Muschel. Einen Moment lang glaubte ich ohnmächtig zu werden.
    »Das ist eine hübsche Pflanze«, sagte ich verzweifelt. »Blüht sie im Sommer?«
    »Oh ja, wunderschön«, sagte Mrs Linver traurig, »herrliche rosa Blüten.«
    Ishbel erschien mit dem Teetablett. Sie war rückwärts gegangen, um die Tür aufzustoßen. Ich sprang hoch und nahm ihr das Tablett ab. Ihr Gesicht war erhitzt.
    »So«, sagte sie, »setz es einfach da ab, Jaffy. Danke.«
    Erwarteten sie noch mehr von mir? All die Dinge, die ich erzählen könnte, die Dinge, an die ich so angestrengt nicht hatte denken wollen. Durfte ich bald gehen?
    »Allerdings«, fuhr Mrs Linver nachdenklich fort, »kümmert sie inzwischen etwas.«
    »Was ist los?« Ishbel setzte sich.
    »Die Pflanze da.«
    »Ach so, die muss ich mal beschneiden.« Ishbel lächelte mich strahlend an, als wäre es ein ganz normaler Besuch. »Danke, dass du gekommen bist, Jaffy.«
    »Schon in Ordnung.«
    »Es muss unvorstellbar schrecklich für dich gewesen sein.«
    »Immerhin ist er hier«, sagte ihre Mutter.
    »Na, Gott sei Dank.«
    Ishbel schenkte den Tee aus. »Hab ich dir erzählt, dass ich mich verlobt habe?«, sagte sie, ohne mich anzusehen. »Ich! Kannst du dir das vorstellen?«
    Natürlich.
    »Wirklich?«
    Sie reichte mir

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