Der Atem des Jägers
saufen.«
»Hast du ihn gefragt, warum er trinkt, Matt? Hast du ihn gefragt?«
»Das ist ihm inzwischen egal.«
»Leck mich am Arsch«, sagte Griessel, Erschöpfung, Durst und Demütigung im Blick. »Ich laß mich doch nicht mit einem Kakerlakensucher
vergleichen. Wie viele Leichen hat der umdrehen müssen? Wie viele? Sag’s mir. Wie viele tote Kinder? Wie viele Frauen, wie
viele Rentnerinnen, die für ein Handy oder einen billigen Ring totgeschlagen wurden. Du willst den alten Benny? Du suchst
nach dem Blödmann aus Parow, der vor nichts Angst hatte? Nach dem suche ich auch. Jeden Tag, jeden Morgen, wenn ich aufstehe,
suche ich nach ihm. Denn der wußte zumindest, daß er auf der richtigen Seite stand. Er dachte, er könnte die Welt verändern.
Er glaubte, wenn er lang genug und hart genug arbeitete, würde er gewinnen, wenigstens manchmal, und zur Hölle mit Rang und
Beförderungen – die Gerechtigkeit würde siegen, und nichts anderes zählte, denn deswegen tragen wir diese weißen Hüte. Aber
der Kerl aus Parow ist tot, Matt. Mausetot. Und warum? Was ist passiert? Was passiert jetzt? Wir sind in der Minderheit. Wir
gewinnen nicht; wir verlieren. Es gibt immer mehr von ihnen und immer weniger von uns. Was soll’s also? Was helfen all die
Überstunden und die harte Arbeit? Werden wir dafür belohnt? Bedankt sich jemand bei uns? Je härter wir arbeiten, desto mehr
scheißen sie uns an. Sieh doch nur. Ich hab weiße Haut. Und was bedeutet das? Sechsundzwanzig Jahre bei der Polizei, und es
ist einen Dreck wert. Es ist nicht der Alkohol – ich bin nicht bloß Inspector, nur weil ich saufe. Und das weißt du auch genau.
›Förderung von Minderheiten‹. Ich habe mein ganzes gottverdammtes Leben gegeben, ich habe mir all den Scheiß bieten lassen,
und trotzdem müssen die Minderheiten immer noch gefördert werden. Seit zehn Jahren. Habe ich aufgehört wie De Kok und Rens
und Jan Broekman? Sieh sie dir doch an! Sie haben Wachtdienste und machen Kohle und |48| fahren BMWs und gehen jeden Tag um fünf nach Hause. Und wo bin ich? Ich habe hundert offene Fälle, und meine Frau wirft mich
raus, und ich bin Alkoholiker … Aber ich bin immer noch
hier
, gottverdammt, Matt. Ich habe nicht gekündigt.«
Dann war all seine Energie verbrannt und er lehnte sich an den Wagen, sein Kopf sackte auf seine Brust.
»Ich bin gottverdammt immer noch hier.«
»Hey!« rief Swart Piet von den Bäumen aus.
»Benny«, sagte Joubert sanft.
Er schaute langsam auf. »Was?«
»Laß uns fahren.«
»Hey!«
Als er rüber zur anderen Tür ging, konnte er die Stimme des Mannes klar und schrill hören: »Hey, du! Arschloch!«
8
»Ihr Vater hat Sie mißbraucht«, sagte der Priester. In seiner Stimme lag kein Zweifel.
»Nein«, sagte sie. »Das sagen viele Prostituierte. Der Stiefvater hat mit mir geschlafen. Oder der Freund meiner Mutter. Oder
der Vater. Das kann ich nicht behaupten. Das war nicht sein Problem.«
Sie achtete darauf, ob Enttäuschung sich in seinen Zügen abzeichnete, aber es war keine zu sehen.
»Wissen Sie, was ich mir wünschen würde, wenn ich nur einen einzigen Wunsch hätte? Zu wissen, was mit ihm passiert ist. Das
frage ich mich oft. Was hat er erlebt, daß er sich so veränderte? Ich weiß, es muß an der Grenze passiert sein. Ich weiß auch
ungefähr in welchem Jahr, das habe ich herausbekommen. Irgendwo in Südwestafrika oder Angola. Aber was war es?
Wenn ich mich nur besser daran erinnern könnte, wie er vorher war. Aber das kann ich nicht. Ich erinnere mich nur an die |49| schlechten Zeiten. Ich glaube, er war immer ein ernster Mann. Still. Er muß der Typ dafür gewesen sein … Sie kommen nicht
alle so von der Grenze zurück, also muß er eine bestimmte Art Mensch gewesen sein. Er muß die … wie sagt man?«
»Tendenz?«
»Ja. Er muß die Tendenz bereits gehabt haben.«
Sie suchte nach etwas, um ihre Hände zu beschäftigen. Sie beugte sich vor und nahm den Zuckerlöffel aus der weißen Porzellanschale.
Am Ende des gebogenen Griffes befand sich ein Stadtwappen. Sie rieb mit dem Daumen über das Metall, spürte die Unebenheiten.
»Jedes Jahr veranstaltete die Schule eine Feier. An einem Freitag im Oktober. Am Nachmittag fanden
Boeresport -
Veranstaltungen statt, und am Abend gab es einen Jahrmarkt. Lose und Luftgewehrschießen. Und
Braaivleis
, ein Barbecue. Alle gingen hin, die ganze Stadt. Nach den Sportveranstaltungen kam man nach Hause und zog sich nett an
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