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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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in der Hand, mitten
     zwischen dem Schlachthof und den Käfigen. Große rosafarbene Schweine ruckten endlos hinter den Stahltoren hin und her, als
     spürten sie die Gefahr.
    »Sie wissen doch nicht einmal, von was für einem Job ich spreche«, sagte Thobela, dem klar wurde, daß er falsch vorgegangen
     war, daß er Vorurteilen aufgesessen war.
    »Wahrscheinlich das, was er immer tut. Überfälle. Diebstähle. Er wird unserer Mutter das Herz brechen.«
    »Diesmal nicht.«
    »Sie lügen.«
    »Ich lüge nicht. Ich schwöre. Ich will ihm nichts Verbotenes vorschlagen«, sagte er nachdrücklich.
    »Ich weiß nicht, wo er ist.« Khoza zertrat den Zigarettenstummel ärgerlich mit der dicken Sohle seines weißen Gummistiefels
     und ging auf die Tür hinter ihm zu.
    »Gibt es jemand, der das weiß?«
    Khoza blieb stehen, weniger feindselig. »Vielleicht.«
    Thobela wartete.
    Khoza zögerte lange.
»The Yellow Rose«
, sagte er schließlich und öffnete die Tür. Ein hohes Quietschen, beinahe menschlich, drang heraus. Hinter Thobela zuckten
     die Schweine verängstigt zusammen und drückten sich gegen die Gitterstäbe.

9
    Thobela fuhr Richtung Einkaufszentrum Waterfront, er wählte die Straße, die am Hang entlangführte, so daß er Meer und Hafen
     sehen konnte. Das brauchte er – Raum und Schönheit. Die Rolle, die er gespielt hatte, verstörte ihn, aber er wußte nicht |55| recht, warum. Sich als jemand anders auszugeben war ihm nichts Neues. In Europa war das Teil seines Lebens gewesen. Die Ostdeutschen
     hatten ihn perfekt darin ausgebildet. Lügen zu leben prägte sein Dasein fast ein Jahrzehnt; all das war gerechtfertigt durch
     das Ziel des Freiheitskampfes.
    Hatte er sich so sehr verändert?
    Er nahm die letzte Biegung, und die Aussicht lag vor ihm: Schiffe und Kräne, reichlich blaues Wasser, Hochhäuser und Freeways
     und dazu die Küstenlinie, die sich geschmeidig nach Blouberg wandte. Er wollte sich zu Pakamile umdrehen und sagen: »Sieh
     dir das an, es ist die schönste Stadt der Welt«, und er wollte seinen Sohn über all das staunen sehen.
    Das ist der Unterschied, dachte er. Er hatte das Gefühl, als wäre der Junge immer noch bei ihm, in seiner Nähe.
    Vor Pakamile, vor Miriam, war er allein gewesen; er war der einzige, der über sein Handeln urteilte, und er war der einzige,
     für den es Konsequenzen hatte. Aber der Junge hatte seine Grenzen versetzt und seine Welt vergrößert, so daß alles, was er
     sagte und tat, jetzt Implikationen hatte. Lukas Khoza angelogen zu haben, war ihm jetzt so unangenehm, als müßte er Pakamile
     erklären, warum er es getan hatte.
    Wie an jenem Tag, an dem sie in die Berge hinter der Farm gegangen waren und er seinem Sohn beibringen wollte, das Gewehr
     verantwortungsbewußter zu benutzen; es war ein Gegenstand, den man sorgfältig behandeln mußte.
    Das Gewehr hatte den Jäger in dem Jungen geweckt. Im Gehen zielte Pakamile mit der ungeladenen Waffe auf Vögel, Steine und
     Bäume, er gab Schußgeräusche von sich, und seine Gedanken zogen einen großen Kreis, bis er fragte: »Du warst doch Soldat,
     Thobela?«
    »Ja.«
    »Hast du Menschen erschossen?« Er fragte das ohne jede makabre Faszination, wie Jungen nun einmal sind.
    Was soll man darauf sagen? Wie erklärt man einem Kind, daß man mit einem Scharfschützengewehr in München auf der Lauer lag
     und auf einen Feind des eigenen Verbündeten |56| wartete, daß man den Abzug drückte und Blut an die hellblaue Wand spritzen sah, daß man sich davonstahl wie ein Dieb in der
     Nacht, wie ein Feigling? Das war
dein
Krieg, das war
deine
Heldentat.
    Wie erklärt man einem Kind die merkwürdige, einsame Welt, in der man lebte – wie erklärt man Apartheid und Unterdrückung und
     Revolution und Unruhen? Wie Ost und West, die Mauer und die merkwürdigen politischen Allianzen? Thobela setzte sich, lehnte
     sich mit dem Rücken an einen Stein und versuchte es. Am Ende sagte er, man dürfe die Waffe nur gegen Ungerechtigkeit zum Einsatz
     bringen, und man dürfe sie nur als allerletzten Ausweg auf Menschen richten, wenn alle anderen Formen der Verteidigung und
     des Miteinanderredens erschöpft seien.
    So wie jetzt.
    Das hätte er Pakamile gern erzählt. Das Ziel rechtfertigt die Mittel. Er konnte die Ungerechtigkeit des Mordes nicht ungestraft
     lassen; er konnte sie nicht einfach akzeptieren. In einem Land, in dem das System ihm gegenüber versagt hatte, blieb ihm nur
     diese letzte Möglichkeit, selbst wenn diese Welt so

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