Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
Vom Netzwerk:
Job.«
    »Warten Sie. Vielleicht weiß mein Vater, wo er ist.«
    »Luke? Ist er da?«
    »Bei der Arbeit. In Maitland. Schlachthof.«
    »Vielleicht fahre ich da vorbei. Danke.«
    Sie verabschiedete sich nicht. Sie blieb in der Tür stehen, die Hüfte an den Rahmen gelehnt, und beobachtete ihn. Als er |52| sich ans Steuer setzte, fragte er sich, ob sie die Wahrheit gesagt hatte.
     
    Sie berichtete dem Priester von dem Abend, an dem ihr Vater sie eine Hure genannt hatte. Wie er im Badezimmer neben ihr stand
     und sie mit einem Waschlappen und Wasser und Seife das Make-up abschrubben ließ. Sie weinte, als er ihr die Leviten las und
     sagte, nicht in
seinem
Haus. Keine Herumhurerei in
seinem
Haus. In dieser Nacht begann alles. Da geschah etwas in ihr. Während sie von der Tirade berichtete, war sie sich bewußt, was
     zwischen ihr und dem Priester geschah, denn das war bekanntes Territorium. Sie erklärte den Grund, und er wollte ihn wissen.
     Sie wollten ihn immer wissen. Männer sahen sie an, wenn sie fertig war mit ihrem Job, nachdem sie ihnen ihren Körper und ihre
     zarten Hände und ihre liebevollen Worte gegeben hatte, und sie wollten eine tragische Geschichte hören. Es war ein primitiver
     Instinkt. Sie wollten, daß sie ein guter Mensch war. Die Hure mit dem goldenen Herzen. Die Hure, die beinahe ein normales
     Mädchen war. Auch dem Priester ging es so – er starrte sie an, bereitwillig brachte er Mitgefühl für sie auf. Aber bei ihm
     fehlte wenigstens alles andere. Ihre Kunden wollten, fast ohne Ausnahme, wissen, ob es ihr auch um den Sex ging – sie sollte
     ein gutes Herz haben, aber auch geil sein. Der Mythos der Nymphomanin. All dieser Dinge war sie sich bewußt, als sie ihre
     Geschichte erzählte.
    »Ich habe so viel darüber nachgedacht, denn da hat alles begonnen. In jener Nacht. Selbst jetzt empfinde ich, wenn ich zurückdenke,
     diese furchtbare Wut. Ich wollte nur hübsch aussehen. Für mich. Für meinen Vater. Für meine Freunde. Aber er wollte das nicht
     wahrnehmen, sah nur dieses andere Zeug, das Böse. Und dann wurde es noch schlimmer mit der Religion. Er verbot uns, zu tanzen,
     ins Kino zu gehen oder bei Freundinnen zu übernachten oder jemand zu besuchen. Er erstickte uns.«
    Der Priester schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: »Was Eltern so tun.«
    |53| »Ich kann es nicht verstehen. Gerhard, mein Bruder, unternahm nichts. Wir hatten dieselben Eltern und lebten im selben Haus,
     aber er unternahm nichts. Er wurde bloß stiller und las auf seinem Zimmer Bücher, er floh in die Geschichten in seinem Kopf.
     Und ich? Ich suchte Ärger. Ich wollte genau das werden, was mein Vater fürchtete. Warum? Warum war ich so gebaut? Warum wurde
     ich so erschaffen?«
    Der Priester beobachtete sie, während sie sprach, betrachtete ihre Hände und Augen, die verschiedenen Stimmungen, die in schneller
     Folge über ihr Gesicht huschten. Er beobachtete ihre Manierismen, das Haar, das sie so geschickt einsetzte, die Finger, die
     ihre Worte mit kleinen Bewegungen betonten, die Glieder, die in stetiger, manchmal gewollter Körpersprache agierten. Er nahm
     all das wahr zusammen mit den Worten und dem Inhalt, der Verletzung und der Ernsthaftigkeit und der eindeutigen Intelligenz,
     und er lernte etwas über sie: Sie genoß das. Auf irgendeiner Ebene, wahrscheinlich unbewußt, genoß sie das Rampenlicht. Als
     wäre ihre Psyche noch intakt, egal, was für schlimme Dinge ihr angetan worden waren.
     
    Um zwölf lenkte der Hunger Griessels Aufmerksamkeit ab von der Mordakte, in die er sich vertieft hatte. Da fiel ihm ein, daß
     er heute kein Sandwich hatte, kein Lunchpaket, das sorgfältig in Cellophanfolie eingewickelt war.
    Er schaute von den Papieren auf, und das Zimmer wirkte plötzlich riesengroß. Was sollte er tun? Wie würde er das alles hinbekommen?
     
    Thobela schätzte Lukas Khoza falsch ein. Er fand ihn im Schlachthof, in einer blutbespritzten Plastikschürze; er spritzte
     gerade mit einem dicken roten Wasserschlauch Blut von den beigefarbenen Fliesen. Sie gingen nach draußen, so daß Khoza eine
     rauchen konnte.
    Thobela sagte, er suchte nach seinem Bruder John, denn er hätte einen Job für ihn.
    |54| »Was für Arbeit?«
    »Sie wissen schon, Arbeit.«
    Khoza starrte ihn angeekelt an. »Nein, weiß ich nicht, und ich will es auch nicht wissen. Mein Bruder ist Abschaum, und wenn
     Sie so sind wie er, sind Sie das auch.« Er stand mit gespreizten Beinen herausfordernd da, die Zigarette

Weitere Kostenlose Bücher