Der Atem des Jägers
nicht unbedingt gefallen, was ich zu
sagen habe.« Er schaute hinüber zu Vera, der Farbigen mit dem mitfühlenden Lächeln, die das Treffen leitete. Ein Meer aus
Gesichtern wandte sich ihm zu, jedes davon eine |66| Wiederholung von Veras bedingungsloser Unterstützung. Er fühlte sich ausgesprochen unwohl.
»Ich habe zwei Probleme mit AA.« Seine Stimme füllte den Saal, als wäre er ganz allein. »Erstens, daß ich mich nicht zugehörig
fühle. Ich bin Polizist. Spezialgebiet Mord. Jeden Tag.« Er packte die Rückenlehne des blauen Plastikstuhls vor sich. Er schaute
auf zu Vera, denn er wußte nicht, wo er sich sonst hinwenden sollte. »Und ich trinke, damit die Stimmen aufhören.«
Vera nickte, als wüßte sie genau, was er meinte. Er suchte sich einen anderen Fixpunkt. An den Wänden hingen Plakate.
»Wir schreien, wenn wir sterben«, sagte er leise und sanft, denn er wollte es richtig formulieren. »Wir klammern uns alle
an das Leben. Wir hängen sehr daran – und wenn jemand unsere Finger aufbiegt, dann fallen wir.« Er sah, wie seine Hände das
vor ihm demonstrierten; zwei Klauen schnappten auf. »Und dann schreien wir. Wenn uns klar wird, daß es nicht mehr hilft, sich
festzuhalten, denn wir fallen zu schnell.«
Das Nebelhorn in Mouille Point dröhnte tief und fern. Es war totenstill in der Kirche. Er holte tief Atem und sah sie an.
Sie schauten unangenehm berührt, die Fröhlichkeit war erstarrt.
»Ich höre das. Ich kann nichts dafür. Ich höre das, wenn ich an einen Tatort komme, während sie noch daliegen. Die Schreie
hängen in der Luft – sie warten darauf, daß jemand sie hört. Und wenn man sie hört, dann hat man sie im Kopf, und da bleiben
sie.«
Jemand auf der linken Seite hustete nervös.
»Es ist ein schreckliches Geräusch«, sagte er und schaute sie an, denn jetzt wollte er ihre Unterstützung. Sie wichen seinem
Blick aus.
»Ich habe nie darüber gesprochen«, sagte er. Vera bewegte sich, als wollte sie etwas sagen. Aber sie durfte ihn jetzt nicht
unterbrechen. »Die Leute könnten denken, daß ich nicht richtig im Kopf bin. Das ist das, was
ihr
denkt. Jetzt gerade. Aber ich bin nicht verrückt. Wenn ich das wäre, würde der Alkohol |67| nicht helfen. Er würde es schlimmer machen. Alkohol hilft. Er hilft mir, wenn ich an einen Tatort komme. Er hilft mir, den
Tag durchzustehen. Er hilft mir, wenn ich nach Hause gehe und meine Frau und meine Kinder sehe und sie lachen höre, aber ich
weiß, daß diese Schreie auch in ihnen lauern. Ich weiß, daß sie in ihnen stecken, und eines Tages kommen sie hervor, und ich
fürchte mich davor, daß ich derjenige sein könnte, der sie hört.«
Er schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht auszuhalten.«
Er schaute zu Boden und flüsterte. »Und was mir am meisten Angst macht, ist, daß ich weiß, daß dieser Schrei auch in
mir
steckt.«
Er sah auf und schaute Vera in die Augen. »Ich trinke, weil davon die Angst weggeht.«
»Wann war John Khoza das letzte Mal hier?« fragte Thobela den Barkeeper.
»Wer?«
»John Khoza.«
»Mann, hier kommen so viele Leute her.«
Er seufzte und zog eine fünfzig Rand-Note heraus, schob sie mit der Handfläche über den Tresen.
»Versuch dich zu erinnern.«
Der Geldschein verschwand. »Dünner Kerl mit schlechter Haut?«
»Genau.«
»Der redet meist nur mit dem Boß – da mußt du ihn fragen.«
»Wann war er das letzte Mal hier, um mit dem Boß zu reden?«
»Ich arbeite Schichten, Mann, ich bin nicht immer hier. Ich habe John eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.«
Er ging davon, um jemand anders zu bedienen.
Thobela trank sein Bier. Der bittere Geschmack war altbekannt, die Musik zu laut, die Bässe vibrierten in seiner Brust. Auf
der anderen Seite des Raumes vor dem Fenster stand ein |68| Siebenertisch. Lautes Gelächter. Ein muskulöser Farbiger mit komplizierten Tätowierungen auf den Armen balancierte auf einem
Stuhl. Er schüttete sich einen großen Krug Bier rein, grölte irgend etwas, was man nicht verstehen konnte, und hielt den leeren
Krug hoch.
Es war alles zu hohl, zu gewollt für Thobela, diese Jovialität. Das war schon immer so gewesen, seit Kasachstan, obwohl das
lange her war. Hundertzwanzig schwarze Brüder in einem sowjetischen Trainingslager, wo sie nachts tranken und sangen und lachten.
Und sich nach Hause sehnten, todmüde. Kameraden und Krieger.
Der Barkeeper kam wieder vorbei.
»Wo kann ich den Boß finden?«
»Ich kann ihn holen.« Er
Weitere Kostenlose Bücher