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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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Außer ihm.
    Sie hatten einen Kreis um ihn gebildet, als alle fertig waren. Sie versammelten sich um ihn, berührten ihn, als könnten sie
     durch ihre Hände etwas auf ihn übertragen. Stärke. Oder Glauben? Gesichter, zu viele Gesichter. Manche von ihnen erzählten
     ihre Geschichte in den Ringen um die Augen und den Falten um die Münder, wie die Jahresringe von Bäumen. Herzerweichende Geschichten.
     Andere waren Masken, die Geheimnisse verbargen. Aber die Augen, die Augen waren alle gleich – stechend, voller Willenskraft,
     wie jemand im Flutwasser, der an einem dünnen grünen Zweig hängt. Er wird sehen, sagten sie. Er wird sehen. Was er sah, war,
     daß er zum Club der letzten Chance gehörte. Er spürte dieselbe Verzweiflung, dasselbe Zerren des Flutwassers.
    Ein Zittern lief wie ein Fieber durch seinen Körper. Er konnte ihre Stimmen hören und drehte die Musik lauter. Der Rhythmus
     erfüllte den Wagen. Lauter. Rock, Afrikaans, er versuchte, den Worten zu folgen.
    Ek will huis toe gaan na Mamma toe,
    Ek will huis toe gaan na Mamma toe
.
    Zu viel Synthesizer, dachte er, nicht ganz richtig, aber gut.
Die Rivier is vol, my trane rol
.
    Er parkte vor dem Wohnblock, stieg aber nicht aus. Er erlaubte es seinen Fingern, über den eingebildeten Hals eines Basses
     zu laufen – das brauchte der Song, mehr Baß. Herr, es wäre so gut, wieder eine Baßgitarre in Händen zu halten. Seine zitternde
     Hand zuckte in ihrem eigenen Rhythmus, und er wollte darüber lachen.
    ’n Bokkie wat vanaand by my will lê

    |74| Nostalgie. Wo waren die Tage geblieben, wo war der zwanzig Jahre alte Wilde, der bei Polizei-Parties die Baßgitarre würgte,
     bis die Wände zitterten?
    Sy kann maar lê, ek is’n loslappie
.
    Gefühle. Seine Augen brannten. Scheiße, nein, er war doch keine Heulsuse. Griessel schlug auf den Schalter des Radios, öffnete
     die Tür und stieg schnell aus, wollte nur weg von hier.

11
    Der Priester fragte sich, ob sie die ganze Wahrheit sprach – er suchte danach im Unterschied zwischen ihren Worten und ihrer
     Körpersprache. Er konnte den Zorn sehen, alt und neu, die unwillkürliche körperliche Unsicherheit. Das stetige, geübte Darbieten
     von Mund, Brust und Haar. Ihre Augen hatten eine eigenartige Form, beinahe orientalisch. Und sie waren klein. Ihre Züge waren
     nicht fein, aber von attraktiver Gleichmäßigkeit. Ihr Hals war nicht dünn, sondern kräftig. Ihr Blick huschte manchmal davon,
     als könnte er sonst etwas verraten: den Durst nach Akzeptanz? Oder stimmte etwas nicht an ihrer Geschichte? Oder war sie verwöhnt
     wie ein Kind, das immer noch seinen Willen durchsetzen wollte, das Aufmerksamkeit und Respekt verlangte? Ein Ego, das sich
     an den wechselnden Strömungen nährte – jetzt tapfer, jetzt unendlich zerbrechlich.
    Faszinierend.
     
    Griessel rief seine Frau kurz nach zehn an, er wußte, daß sie dann gebadet hätte und auf ihrem Bett säße, den Schlafrock über
     die Knie hochgezogen, daß sie ihre Beine eincremte und sich danach dem Spiegel zuwandte und dasselbe mit kleinen, kreisenden
     Bewegungen in ihrem Gesicht tat. Er wollte jetzt dort sein, um sie zu beobachten, denn seine Erinnerungen daran waren nicht
     frisch.
    »Ich bin nüchtern« war das erste, was er sagte.
    |75| »Das ist gut«, sagte sie, aber ohne Begeisterung, so daß er nicht wußte, wie er weitermachen sollte.
    »Anna …«
    Sie sagte nichts.
    »Es tut mir leid«, sagte er entschlossen.
    »Mir auch, Benny.« Tonlos.
    »Willst du nicht wissen, wo ich bin?«
    »Nein.«
    Er nickte, als hätte er es erwartet.
    »Dann sag ich nur gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Benny.« Sie legte auf, er hielt sein Handy noch ein wenig länger an sein Ohr, und er wußte, daß sie nicht glaubte,
     daß er es schaffen würde.
    Vielleicht hatte sie recht.
     
    Sie sah, daß sie ihn am Haken hatte, und sagte: »In der neunten Klasse habe ich mit einem Lehrer geschlafen. Und mit einem
     Freund meines Vaters.« Aber er reagierte nicht.
    »Was denken Sie?« fragte sie. Plötzlich mußte sie es wissen.
    Er zögerte so lange, daß sie sich Sorgen zu machen begann. Hatte er sie gehört, hörte er zu? Oder stieß sie ihn ab?
    »Ich denke, daß Sie absichtlich versuchen, mich zu schockieren«, sagte er, aber er lächelte dabei, und seine Stimme war sanft
     wie Wasser.
    Einen Augenblick lang war es ihr peinlich. Unbewußt flog ihre Hand hoch zu ihrem Haar, ihre Finger zwirbelten die Enden.
    »Mich interessiert, warum Sie das wollen. Glauben

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