Der Atem des Jägers
Ich fuhr auf meinem Fahrrad
vorbei und hielt an.«
»War es Liebe auf den ersten Blick?«
Er kicherte. »Für mich schon. Sie hatte einen Freund, der Soldat war.«
Warum, hätte sie gern gefragt. Was haben Sie in ihr gesehen? Warum haben Sie sie ausgewählt? Sah sie aus wie die ideale Pfarrersfrau?
War sie noch Jungfrau? Rein und unbefleckt? Sie stellte sich die Romantik vor, diesen allumfassenden Anstand, und sie wußte,
das hätte sie in dem Alter zu Tode gelangweilt.
»Also haben Sie sie ihm gestohlen?« fragte sie, interessierte sich aber schon nicht mehr wirklich dafür. Sie spürte, wie die
alte Eifersucht aufstieg.
»Letztlich.« Er lächelte selbstzufrieden. »Bitte, nehmen Sie sich etwas zu essen.«
Sie war nicht hungrig. Sie nahm ein Sandwich, betrachtete die Füllung aus Salat und Tomate und wie das Brot perfekt zu einem
Dreieck geschnitten war. Sie legte es auf einen Teller und stellte ihn in ihren Schoß. Sie wollte fragen, wie er es geschafft
hatte zu warten, wie er sein Verlangen bis nach der Hochzeit unter Kontrolle gehalten hatte. Masturbierten Auszubildende zum
Priester, oder war das in ihrer Welt auch eine Sünde?
Sie wartete, bis er begann, eine Hühnchenkeule zu essen, er hielt den Knochen mit den Fingern. Er beugte sich vor, damit er
über dem Teller aß. Seine Lippen glänzten vor Fett.
»Ich hatte zum ersten Mal Sex, als ich fünfzehn war«, sagte sie. »Richtigen Sex.«
Sie wollte, daß er an seinem Essen erstickte, aber sein Kiefer hielt bloß einen Augenblick inne.
|62| »Ich habe mir den Jungen ausgesucht. Ihn auserwählt. Den Klügsten in der Klasse. Ich hätte jeden haben können, das wußte ich.«
Er war hilflos, das Hühnerbein halb gegessen in seiner Hand, der Mund voll Fleisch.
»Je mehr mein Vater betete, daß die Dämonen mich verlassen sollten, desto mehr wollte ich sie sehen. Jede Nacht. Jede Nacht
mußten wir im Wohnzimmer sitzen, und er las aus der Bibel vor und sprach lange Gebete und bat Gott, den Teufel aus Christine
zu vertreiben. Die Sünden des Fleisches. Die Versuchung. Während wir uns an den Händen hielten und er schwitzte und redete,
bis die Fenster schepperten und mir die Haare im Nacken zu Berge standen. Ich fragte mich: Welche Dämonen? Wie sahen sie aus?
Was taten sie? Wie würde es sich anfühlen, wenn sie hervorkamen? Warum hatte er es auf mich abgesehen? Konnte ich einfach
nicht anders? Zuerst hatte ich keine Ahnung. Aber dann begannen die Jungen in der Schule mir nachzuschauen. Meinem Körper.«
Sie wollte den Teller nicht mehr im Schoß stehen haben. Sie stellte ihn auf den Tisch und legte die Arme unter ihren Brüsten
über Kreuz. Sie mußte sich beruhigen; sie brauchte ihn, sein blödes Frauchen hin oder her.
Ihr Vater inspizierte sie jeden Morgen, wie einen seiner Soldaten. Er ließ sie nicht zur Tür heraus, bis er die Länge ihres
Rocks akzeptabel fand. Manchmal schickte er sie zurück, um ihr Haar neu zu binden oder ein wenig kaum sichtbares Mascara abzuwaschen,
bis sie darauf kam, ein wenig früher zu gehen und sich auf der Schultoilette zu schminken. Sie wollte die Aufmerksamkeit der
Jungen nicht missen. Es war eigenartig. Mit dreizehn war sie einfach eine von vielen gewesen, flache Brust, blasse Haut, kicherig.
Dann begann alles zu wachsen – Brüste, Hüften, Beine, Lippen – eine Metamorphose, die ihren Vater durchdrehen ließ und einen
eigenartigen Effekt auf alle Männer um sie herum hatte. Abiturienten begannen sie zu grüßen, Lehrer blieben an ihrem Tisch
stehen, Sechstkläßler schauten verschämt zu ihr hin und flüsterten miteinander. Irgendwann |63| kapierte sie es. Ihre Mutter begann wieder zu arbeiten, und Christine schloß sich einer Clique an, die nach der Schule zu
irgendwem nach Hause ging, dessen Eltern nicht da waren, um dort zu rauchen und manchmal auch zu trinken. Und Colin Engelbrecht
hatte durch die blaue Wolke einer Chesterfield zu ihr gesagt, daß sie das sexyste Mädchen in der Schule sei, da seien sich
alle einig. Und wenn sie bereit sei, ihm ihre Brüste zu zeigen, nur einmal, werde er alles für sie tun.
Die anderen Mädchen im Zimmer hatten ihn mit Kissen beworfen und gekreischt, daß er ein Schwein sei. Sie aber war aufgestanden,
hatte ihre Bluse aufgeknöpft, ihren BH aufgehakt und den drei Jungen im Zimmer ihre Brüste gezeigt. Sie hatte dort gestanden
mit ihren großen Brüsten, und zum ersten Mal im Leben hatte sie die Macht gefühlt. Sie sah die
Weitere Kostenlose Bücher