Der Atem des Jägers
fünf Jahren ins Kino
zu gehen?«
»Ja«, sagte er. »Das hast du verdient.«
»Wiederhören, Benny.«
Warst du allein im Kino? Das wollte er fragen, aber der moralische Treibsand hatte sich so schnell verändert, und dann hörte
er schon das Klicken im Ohr. Er warf das Handtuch zu Boden und holte eine schwarze Hose aus dem Schrank und zog sie an. Er
nahm Papier und Stift aus seiner Aktentasche und setzte sich auf das Bett. Er starrte das Handtuch auf dem Boden an. Morgen
früh würde es immer noch da liegen, es wäre feucht und stinkig. Er stand auf und hängte das Handtuch über die Stange im Badezimmer,
ging zurück zum Bett und stellte das Kissen so hin, daß er sich dagegenlehnen konnte.
Er begann seine Liste.
Wäsche
.
Es gab ein Waschcenter im Gardens Centre. Gleich morgen früh.
Mülleimer
.
Bügeleisen.
Bügelbrett
.
Kühlschrank
?
Konnte er ohne Kühlschrank leben? Was würde er darin aufbewahren? Milch jedenfalls nicht, er trank seinen Kaffee schwarz.
Sonntags wären die Kinder hier. Und Carla liebte Kaffee, sie hatte immer einen Becher neben sich stehen, wenn sie ihre Hausarbeiten
machte. Wäre sie zufrieden mit Milchpulver? Ein Kühlschrank könnte notwendig werden, er würde sehen.
Duschvorhang
.
Badematte.
|191|
Sessel/Sofa
. Für das Wohnzimmer.
Barhocker
. Für den Frühstückstresen.
Wie, um Himmels willen, sollte er zwei Haushalte von einem Polizistengehalt bezahlen? Hatte Anna daran gedacht? Aber er konnte
schon ihre Antwort hören: »Du konntest dir von deinem Polizistengehalt auch das Saufen leisten, Benny. Zum Saufen war immer
Geld da.«
Er mußte sich noch einen Kaffeebecher für den Besuch der Kinder kaufen. Ein paar Teller und Messer, Gabeln und Löffel. Spülmittel,
Staubtücher, Reinigungsmittel für Badezimmer und Toilette.
Er zeichnete mehrere Spalten auf die Seite, notierte alles, aber er konnte die anderen Dinge in seinem Kopf nicht im Zaum
halten.
Heute hatte er eine Entdeckung gemacht. Er mußte Barkhuizen davon erzählen. Daß er sich vor dem Tod fürchtete, war nicht die
ganze Wahrheit. Heute, als er sich im Obergeschoß von
Woolworth
auf Reyneke gestürzt hatte, der mit der Pistole auf ihn zielte, als der Schuß sich löste, der Schuß, der Cliffy Mketsu getroffen
hatte, denn Reyneke konnte nicht die Bohne schießen … Da hatte er entdeckt, daß er sich nicht fürchtete zu sterben. Da hatte
er gewußt, daß er sterben
wollte
.
Er erwachte früh, kurz vor fünf, und dachte an Anna. Ging sie allein ins Kino? Aber er wollte diesen Gedanken nicht nachhängen.
Nicht so früh, nicht heute. Er stand auf und zog sich Hose, Hemd und Turnschuhe an, er ging, ohne zu duschen, aus dem Haus.
Er entschied sich für eine Richtung und entdeckte dreihundert Meter die Straße herunter den Morgen, er spürte die Sanftheit
des Frühsommers, hörte die Vögel und die unglaubliche Stille über der Stadt. Farben und Formen und Licht wie aus Kristall.
Der Tafelberg ragte über ihm auf, der Gipfel irgendwo zwischen orange und gold, Schrunde und Spalten waren pechschwarze Schatten
im Licht der aufgehenden Sonne.
|192| Er lief zur Upper Orange Street, bog in den Park ab und setzte sich auf die hohe Mauer des Stausees, um sich umzuschauen.
Links wurde Lion’s Head zu den Kurven des Signal Hill, unten bildeten die tausend Fenster der Stadt ein Sonnenmosaik. Das
Meer hinter Robben Island war tiefblau, bis weit nach Melkbos Strand. Links vom Devil’s Peak lagen die Vororte. Eine A747
kam über den Tygerberg, und ihr Schatten strich blitzschnell über ihn hinweg.
Scheiße, dachte er, wann hatte er all das zum letzten Mal gesehen?
Wie hatte er das verpassen können?
Andererseits, er schnitt eine Grimasse, wenn man am Morgen seinen Kater ausschläft, sieht man eben nicht die Sonne über dem
Kap aufgehen. Das dürfte er nicht vergessen, diesen unerwarteten Vorteil der Nüchternheit.
Eine Bachstelze stakste auf ihn zu, Schwanz rauf und runter, kleine Schrittchen wie ein arroganter Wachtmeister. »Was?« fragte
er den Vogel. »Hat deine Frau dich auch verlassen?« Keine Antwort. Er saß da, bis der Vogel irgendeinem unsichtbaren Insekt
hinterherflog, dann erhob er sich und schaute noch einmal hoch zum Berg, und das verschaffte ihm ein eigenartiges Vergnügen.
Nur er sah diesen Morgen, niemand sonst.
Er ging zurück zur Wohnung, duschte und zog sich um, fuhr ins Krankenhaus. Cliffy ruhe sich aus, sagten sie ihm. Sein Zustand
sei
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