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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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sagen.«
    »Das glaube ich nämlich auch, aber was, verflucht noch mal? Was sagt uns das? Ich bin ein Zulu, und ich liebe Kinder?«
    »Oder vielleicht will er auch, daß die Polizei nur denkt, daß er ein Zulu sei, obwohl es in Wirklichkeit ein Farmer aus Brackenfell
     ist.«
    »Oder er will Aufmerksamkeit auf seine Handlungen ziehen.«
    »Nikita, Sie müssen zugeben, daß es ein gutes Werk ist. Im Grunde möchte ich ihn am liebsten weitermachen lassen.«
    »Nein, Scheiße, Prof, der Meinung bin ich gar nicht.«
    |211| »Kommen Sie, Sie müssen doch zugeben, daß er gute Gründe hat.«
    »Gründe, Prof? Was für Gründe?«
    »So sehr ich an das Justizsystem glaube, es ist nicht perfekt, Nikita. Und er füllt eine interessante Lücke. Oder Lücken.
     Glauben Sie nicht, daß es jetzt dort draußen ein paar Leute gibt, die zweimal nachdenken, bevor sie ihren Kindern etwas antun?«
    »Prof, Kinderschänder sind schlimmer als Hummerscheiße. Und jeden einzelnen, den ich je verhaftet habe, hätte ich am liebsten
     persönlich totgeschlagen. Aber darum geht es nicht. Es geht darum: Wo zieht man die Grenze? Bringt man alle um, die nicht
     rehabilitiert werden können? Psychopathen? Drogenabhängige, die Handys klauen? Einen Kaufmann, der zu seiner vierundvierziger
     Magnum greift, weil ein manisch-depressiver Kleptomane eine Dose Sardinen stiehlt? Sind das auch gute Gründe? Scheiße, Prof,
     nicht einmal die Psychiater können sich darauf einigen, wer rehabilitiert werden kann und wer nicht, jeder hat vor Gericht
     eine andere Geschichte. Und jetzt soll jeder Penner mit einem Assegai diese Entscheidung treffen können? Und die ganze Geschichte
     mit der Todesstrafe … Plötzlich wollen alle sie wiederhaben. Unter uns gesagt, ich bin nicht per se gegen die Todesstrafe.
     Ich habe Arschlöcher verhaftet, die sie mehr als verdient haben. Aber eines ist klar, sie hatte niemals abschreckende Wirkung.
     Sie haben früher genausoviel gemordet, als sie noch erhängt wurden oder auf dem elektrischen Stuhl landeten. Also sehe ich
     keinen Vorteil darin.«
    »Gute Argumente.«
    »Chaos, Prof. Wenn wir Lynchjustiz erlauben, ist das der erste Schritt ins Chaos.«
    »Sie sind nüchtern, Benny.«
    »Prof?«
    »Das ist anders an Ihnen. Sie sind nüchtern. Wie lange?«
    »Ein paar Tage, Prof.«
    »Guter Gott, Nikita, das ist ja wie eine Stimme aus dem Jenseits.«

|212| 26
    Noch bevor er seinen Wagen erreichte, rief Jamie Keyter an, um Bericht zu erstatten, und ohne nachzudenken sagte Griessel:
     »Treffen wir uns im
Fireman’s
.« Als er die Albert Street entlang Richtung Innenstadt fuhr, dachte er an Assegais, an Mörder und die guten Gründe eines
     selbsternannten Scharfrichters.
    »Gute Argumente«, hatte der Prof gelobt, aber wo war das alles hergekommen? Er hatte nicht innegehalten, um nachzudenken.
     Hatte bloß geredet. Er hätte schwören können, daß ein Teil von ihm erstaunt zuhörte und dachte: »Was, zum Teufel …?«
    Plötzlich war er der große Kriminalphilosoph. Seit wann? Seit er nicht mehr soff. Seit dann.
    Es war, als hätte jemand die Schärfe wieder richtig eingestellt, so daß er die letzten fünf oder sechs Jahre klarer sehen
     konnte. Hatte er wirklich so lange aufhören können zu denken? Aufgehört, die Dinge zu analysieren? Hatte er seine Arbeit mechanisch
     erledigt, routiniert, gemäß der Regeln und Vorschriften, gesetzestreu? Tatort, Akte, Verhöre, Informationen, Anklage, Aussage,
     fertig. Der Alkohol hatte einen goldenen Schutzfilm über alles gezogen, war sein Puffer gegen jeden Gedanken.
    So wie er jetzt war, so wie er jetzt dachte, so war es nicht immer gewesen. Anfangs hatte er von »uns« und »denen« gesprochen,
     von Gegensätzen, von zwei klar unterscheidbaren Gruppen auf den verschiedenen Seiten des Gesetzes; er war sicher in seiner
     Überzeugung, daß es einen eindeutigen Unterschied gab, eine Trennlinie, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht Genetik oder
     Psychologie, aber jedenfalls war es so; manche Leute waren Kriminelle, andere nicht, und seine Aufgabe bestand darin, die
     Gesellschaft von ersteren zu befreien. Das war keine unmögliche Aufgabe, nur eine große. Aber ziemlich gradlinig. Identifizieren,
     verhaften, erledigt.
    |213| Jetzt, am Ende seines Alkoholtunnels, in der wiederentdeckten Nüchternheit, wurde ihm klar, daß er daran nicht länger glaubte.
    Er wußte jetzt, daß es in jedem steckte. Das Verbrechen lauerte still in jedem, eine Schlange im Unterbewußtsein. In der

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