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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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Hitze
     der Habgier, der Eifersucht, des Hasses, der Rache, der Angst erwachte sie und schlug zu. Wenn einem das nie widerfuhr, hatte
     man Glück. Man hatte Glück, wenn der Lebensweg nicht auf derartige Schwierigkeiten traf, wenn man das Ende erreichte und das
     Schlimmste, was man getan hatte, darin bestand, bei der Arbeit Büroklammern geklaut zu haben.
    Deswegen hatte er Pagel gesagt, daß man sich auf eine Grenze einigen mußte. Es mußte ein System geben. Regeln, nicht Chaos.
     Man konnte Individuen nicht die Aufgabe übertragen, für Gerechtigkeit zu sorgen. Niemand war so rein, niemand war objektiv,
     niemand war immun.
    Aus der Albert Street wurde die New Market Street, dann Strand, und er fragte sich, wann er angefangen hatte, so zu denken.
     Wann hatte er den Wendepunkt durchlaufen? War es ein Prozeß der Desillusion? Hatte er zu viele Kollegen gesehen, die der Versuchung
     nachgegeben hatten, oder angesehene Persönlichkeiten, die in Handschellen abgeführt wurden? Oder war es sein eigener Abstieg?
     Die Entdeckung der eigenen Schwäche. Als er zum ersten Mal bemerkte, daß er betrunken zur Arbeit kam und damit durchkam? Oder
     als er seine Hand gegen Anna gehoben hatte?
    Egal.
    Wie fängt man einen selbsternannten Henker? Das war jetzt wichtig.
    Mord gleich Motiv. Welches Motiv hatte der Assegai-Mann? Was trieb ihn an?
    Gab es vielleicht ein ganz einfaches Motiv? Oder tickte er wie ein Serienmörder, dessen Motiv irgendwo in den Kurzschlüssen
     seiner fehlerhaften Neuronen verborgen war? Dann blieb einem nichts, keine Spur zur Quelle, kein Faden, an dem |214| man ziehen konnte, bis er sich löste, und an dem man sich dann festhalten und vorantasten konnte.
    Bei einem Serienmörder mußte man warten, man mußte jedes Opfer und jeden Tatort genau untersuchen. Man mußte ein Profil erstellen
     und ein Beweisstück zum nächsten legen und darauf warten, daß sich ein Bild formte; man mußte hoffen, daß es einen Sinn ergab,
     daß es die Wirklichkeit spiegelte. Man mußte darauf warten, daß er einen Fehler machte. Darauf warten, daß seine Selbstsicherheit
     zunahm, daß er sorglos wurde und eine Reifenspur oder ein paar Spermatropfen oder einen Fingerabdruck zurückließ. Oder man
     hatte einfach Glück und hörte zwei Krankenschwestern über Supermärkte reden. Man riskierte viel und gewann am allerersten
     Freitag, an dem man den Köder auslegte, schon den Jackpot.
    Früher hatten sie über Bennys Glück geredet, sie hatten die Köpfe geschüttelt: »Herrgott, Benny, du hast so ein gottverdammtes
     Glück, mein Freund«, und das ärgerte ihn. Er hatte kein »Glück« – er hatte Instinkt und den Mut, sich darauf zu verlassen.
     Und damals hatte man ihm den Freiraum gegeben, das auch zu tun. »Mach weiter, Benny«, hatte sein erster Chef bei der Mordkommission,
     Colonel Willie Theal, immer gesagt. »Die Ergebnisse zählen.« Der dürre Willie Theal, über den der mittlerweile verstorbene
     dicke Sergeant Nougat O’Grady gesagt hatte: »O Mann, da kriegt man ja schon Magersucht, wenn man ihn anguckt.« Damals war
     das Kriminalgesetzbuch eine vage Anordnung von Ratschlägen, die sie zum Einsatz brachten, wie es ihnen paßte. Jetzt lag O’Grady
     unter der Erde und Willie Theal mit Lungenkrebs und einer Polizeirente im Prince Albert, und wenn man einem Gangster nicht
     seine Rechte vorlas, bevor man ihn verhaftete, dann warf das Gericht den ganzen Fall gleich wieder raus.
    Aber das gehörte zum System, und das System sorgte für Ordnung, und das war gut so. Wenn er bloß sein eigenes Leben auch in
     Ordnung bringen könnte. Das sollte doch nicht so schwer sein, denn das Gesetzbuch der Alkoholiker waren die zwölf Schritte.
    |215| Scheiße. Warum konnte er ihnen nicht einfach blind folgen? Warum konnte er nicht ein Jünger werden, ohne darüber nachzudenken,
     ohne die Verzweiflung in seinem Magen zu spüren, wenn er den zweiten Schritt las, in dem stand, daß man an eine Macht, größer
     als man selbst, glauben mußte, um dem Wahnsinn des Alkoholismus Einhalt zu gebieten?
    Er bog nach rechts in die Buitengracht, fand einen Parkplatz, stieg aus und ging durch die Dämmerung auf das Neonschild zu:
Fireman’s Arms
. Der Wind aus Südost zerrte an seinen Klamotten, als wollte er ihn zurückhalten, aber er war schon durch die Tür und die
     Kneipe erstreckte sich vor ihm, das sichere warme Herz, der würzige Geruch von Zigarettenrauch und Bier, das Tröpfchen für
     Tröpfchen über die Jahre in den

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