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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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auf das Sofa, wo Carla gesessen hatte. Er betrachtete
     das Cover der CD, drehte es zwischen den Fingern. Er hatte nichts, um die CD darauf zu hören.
    Er mußte etwas unternehmen. Er konnte nicht einfach hier sitzen und der Stille lauschen. In seinem Kopf war zu viel los.
    Wo war Anna heute gewesen? Warum hatte sie sich zurechtgemacht? Wofür?
    Warum glaubte Fritz, daß sie sich scheiden ließen? Hatte sie etwas gesagt? Eine Bemerkung gemacht? »Dein Vater hört sowieso
     nicht auf zu saufen.« Glaubte seine Frau das wirklich?
    Natürlich glaubte sie das. Was sonst, bei seiner Geschichte. Und wenn sie sowieso wußte, wie es ausging, was hielt sie dann
     davon ab, in der Zwischenzeit das Vakuum zu füllen? Warum sollte sie es nicht einem jungen, gutaussehenden und nüchternen
     Wichser erlauben, sie auszuführen. Und vielleicht |237| noch mehr erlauben? Noch mehr? Wie hungrig war sie? Anna, die immer sagte: »Es ist schön, wenn du mich anfaßt.« Wer grapschte
     sie jetzt an? Auf jeden Fall nicht der erfahrene Detective Inspector Benny »Vollidiot« Griessel.
    Er erhob sich vom Sofa, seine Hände auf der Suche nach etwas.
    Was für ein Tag! Seine Kinder, seine wunderbaren Kinder. Die er kaum kannte. Sein Sohn mit den Bassisten-Genen und den vielen
     Vorwürfen. Carla, die so verzweifelt versuchte, so zu tun, als wäre alles normal, als würde alles in Ordnung kommen. Als könnte
     sie ihn mit reiner Willenskraft nüchtern halten, wenn sie nur stark genug daran glaubte.
    Wir hatten nie einen Vater. Bloß einen Trinker, der bei uns lebte.
    Scheiße. Der Schaden war bereits angerichtet. Das schmerzte ihn, das Ausmaß des Ganzen. Es nagte an ihm, und er schaute auf
     und begriff, daß er nach einer Flasche suchte, seine Hände wollten etwas einschenken, seine Seele brauchte ein Mittel gegen
     den Schmerz. Nur einen Drink, um es besser zu machen, um es erträglich zu machen, und da wurde ihm klar, daß er keine Chance
     hatte. Da war dieser ganze Scheiß in seinem Leben, der ihn erstickte, der Scheiß, der durch sein Saufen gekommen war – und
     er wollte etwas trinken. Er wußte mit absoluter Sicherheit, wenn eine Flasche in der Wohnung gewesen wäre, hätte er sie geöffnet.
     Er war schon die Möglichkeiten im Kopf durchgegangen – wo konnte er hingehen, um etwas zu trinken, was war am Sonntagabend
     noch auf.
    Er gab ein ärgerliches Grunzen von sich und trat nach einem seiner neuen Secondhand-Sessel. Was war nur mit ihm los, daß er
     so ein blöder Vollidiot war? Was?
    Er tastete mit zitternden Händen nach seinem Handy. Er wählte die Nummer, und als Barkhuizen sich meldete, sagte er bloß:
     »Herrgott, Doc. Herrgott.«

|238| 29
    Um halb sieben am nächsten Morgen ging Griessel zum Stausee, und er spürte, daß das Gefühl, das er empfand, ihm irgendwie
     bekannt vorkam, wußte aber noch nicht recht, was es war. Zuerst schaute er zum Berg, dann aufs Meer. Er lauschte den Vögeln
     und dachte, daß er noch einen Tag ohne Alkohol überlebt hatte. Selbst wenn es gestern knapp gewesen war.
    »Was ist mit mir los, Doc?« hatte er Barkhuizen verzweifelt gefragt. Denn er mußte die Ursache wissen. Die Wurzel allen Übels.
    Der alte Mann hatte von Chemie, Genen und Umständen geredet. Lange, gefällige Erklärungen, er konnte hören, wie Barkhuizen
     versuchte, ihn zu beruhigen. Die Enge und die verdammte Angst ebbten langsam ab. Am Ende des Gesprächs sagte ihm der Arzt,
     daß es egal wäre, wo es herkam. Was zählte, war, wohin er von hier aus ging, und das stimmte. Aber als Griessel im Bett lag,
     unendlich erschöpft, suchte er weiter, denn er konnte nicht gegen etwas kämpfen, was er nicht verstand.
    Er wollte zurück an die Quelle, wollte sich erinnern, wie es gewesen war, bevor er zu saufen begann. Der Schlaf übermannte
     ihn, bevor er es schaffte.
    Um fünf Uhr war er wach, erfrischt und ausgeruht, die Assegai-Sache beschäftigte ihn, und sein Hirn war voller Ideen und Pläne.
     Das ließ ihn aufstehen, ließ ihn in Shorts und T-Shirt in den Park marschieren, und er verspürte wieder das Vergnügen. Der
     Morgen und der Ausblick gehörten ihm allein.
    »Mein Name ist Benny Griessel, und ich bin Alkoholiker. Heute ist mein neunter Tag ohne Alkohol«, sagte er laut in den Morgen
     hinein. Aber das war nicht der Grund, aus dem er die leichte Erregung verspürte. Erst auf dem Weg zur Arbeit wurde ihm klar,
     was es war. Er schüttelte den Kopf, denn es war wie eine Stimme aus dem Jenseits, ein vergessener

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