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Der Atem des Rippers (German Edition)

Der Atem des Rippers (German Edition)

Titel: Der Atem des Rippers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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in hoher Luftfeuchtigkeit so stark verändert haben – als Maler hatte er einen Blick dafür. Als sei es jahrelang in einem Waschkeller aufbewahrt worden … oder in einem tropischen Land.
    Seine Hände bebten, als er die drei unterschiedlichen Papierarten zwischen den Fingern rieb. Die Datierung des Tagebuchs lag fast fünfzehn Jahre zurück. Die Zeitungsschnipsel rührten offenbar aus derselben Zeit. Der einleitende Text war, wenn die Datierung stimmte, vor einem knappen Jahr geschrieben worden. Das passte perfekt zum Zustand des Papiers. Und zu der Tatsache, dass das Buch einem Mann gehört hatte, der Geistlicher war und offenbar aus Britisch-Indien kam. Und der von jemandem gejagt wurde.
    Hatte Sickert tatsächlich vor einer Stunde den Menschen gesehen, der vor anderthalb Jahrzehnten das Londoner Eastend in Angst und Schrecken versetzt und mindestens fünf Straßenmädchen auf barbarische Weise dahingemetzelt hatte?
    Er schloss die Augen und atmete tief durch.
    Dann las er weiter.
    Das erste Mal in meinem Leben, dass ich England verließ, war im Frühsommer des Jahres 1881, als ich eine Reise durch Norditalien unternahm. Zwei Jahre zuvor hatte ich mein Studium der Medizin in Birmingham (ganz den Wünschen meiner Mutter entsprechend) beendet und arbeitete seither als Assistenzchirurg im dortigen General Hospital. Das nasskalte Wetter über den Winter hatte mir zugesetzt, einige Erkrankungen in Folge hatten mich körperlich geschwächt, und die Härte der täglichen Arbeit war wohl verantwortlich für eine Reihe von immer heftiger werdenden Albträumen, die wie in einer Spirale des Grauens über kurz oder lang in die Tiefen einer Depression zu führen schienen. Schlaflosigkeit war ein Problem, das mich über Jahre hinweg hartnäckig verfolgte und von dem ich erst in Asien wirklich geheilt wurde.
    Nachdem eine heikle Nierenoperation durch meine Schuld zu missglücken drohte, gewährte mir der Chefarzt einen längeren Urlaub. Die finanziellen Mittel für eine Reise auf den Kontinent waren vorhanden, doch bisher war es mir nicht gelungen, mich aus der Übermacht meiner Verpflichtungen im Hospital auszuklinken. Unser Personal war notorisch unterbesetzt – wegen der anhaltenden Grippeepidemie konnten viele der älteren Kollegen nicht regelmäßig zur Arbeit erscheinen, und einige davon raffte die Krankheit im Laufe dieses erbarmungslosen Winters dahin.
    Es war eine böse Zeit, und ich lernte damals vor allem eines: Ein Assistenzarzt war ein Nichts, solange er seinem Vorgesetzten in dessen Büro gegenüber saß; ein lästiges Nichts, wenn er in einer Zeit allgemeiner Anspannung und Zeitknappheit um Urlaub ersuchte. Sobald man allerdings ein Skalpell in der Hand hielt und damit unter der geöffneten Bauchdecke eines Patienten hantierte, war man von einer Macht erfüllt, vor der selbst der gestrenge Chefarzt unwillkürlich zurückwich. Ein falscher Schnitt des 26-jährigen Assistenzarztes, rasch und kraftvoll mit der Macht der Jugend ausgeführt, und selbst der erfahrenste Mediziner stand machtlos daneben und vermochte nur noch zuzusehen, wie der Patient sich für Sekunden in eine wunderschöne dickrote Fontäne verwandelte und der Verletzung erlag.
    Ich möchte damit nicht sagen, ich hätte absichtlich das Leben eines Patienten aufs Spiel gesetzt, um meinen Urlaub zu erzwingen. Was bedeutet schon Absicht? Ich hatte es nicht geplant, nicht am Reißbrett ausgetüftelt. Meine Hand tat, was sie tat, und wer mag entscheiden, ob mein Hirn es war, das sie führte, oder Gott, oder die Übermüdung? Bis heute weiß ich darauf keine Antwort, auch wenn der Hauptverdächtige kein geringerer als der Heilige Antonius ist …
    Ich kann nur sagen, dass ich große Erleichterung verspürte, als ich während der Vorbereitungen zu meiner Italienreise erfuhr, dass der Patient wohlauf war und das Hospital bald verlassen konnte. Gefangen in einer magischen Mischung aus Erschöpfung und Freude brach ich nach Mailand auf, und diese ineinander verwobenen Empfindungen begleiteten mich auf meiner Reise durch die norditalienischen Städte Verona, Vicenza und Padua.
    Die versinkende Stadt Venedig sollte die letzte Station meiner dreiwöchigen Exkursion werden, doch in Venedig kam ich nie an. Padua bescherte mir ein Erlebnis, das alles übertraf, was mir in meinem Leben widerfahren war, und meine Lebensbahn durchtrennte, wie ein einziger Schnitt mit einer scharfen Klinge die Aorta zu teilen vermag.
    Am Vormittag des 13. Juni hatte ich mich auf einen

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