Der Atem Manitous
wollte nach Bangor.
Schon kurz nach Verlassen von Salem's Lot hatte sie Zeitungsberichten entnommen, wie es dort, in der Hauptstadt von Maine, zuging.
Daß es auch dort geschehen war.
Daß die >Strafe Gottes< auch in Bangor gewütet hatte!
Die Berichte über Menschen, die brutal getötet und verstümmelt, zumindest aber vermißt wurden, häuften sich in der Berichterstattung der lokalen Presse so erschreckend, daß es für Lilith nur diese eine Erklärung gab: Die in Bangor ansässige Vampirsippe war von ihrem Oberhaupt mit dem Tod infiziert worden.
Und nun aasten die Betroffenen mit dem Blut der Stadtbewohner -weil sie noch nicht begriffen hatten oder es nicht begreifen wollten, daß nichts mehr sie retten konnte.
Sie würden ihre Taten büßen.
Nur einer nicht.
Und diesen einen, ihren Anführer, mußte Lilith finden und ausschalten. Es war keine Frage des Wollens - es war ihre von Gott auferlegte Pflicht.
Und eine Notwendigkeit, um selbst weiterleben zu können. Denn sie brauchte das Blut des Anführers, um es zu trinken und nicht selbst an Schwäche zugrunde zu gehen.
Auch sie war kein Mensch. Das Tattoo in ihrer linken Hand gemahnte sie täglich daran. Die stilisierte Fledermaus, die wie eine Tätowierung aussah, aber keine war. Es war ein Stigma, das erst dann völlig verblassen und verschwinden würde, wenn es Lilith eines Tages gelungen war, die Welt auch vom letzten Vampir zu befreien!
Seit den Ereignissen am Anfang der Zeit und der Versöhnung der Ur-Lilith mit Gott hatte Lilith dem Menschenblut, das sie bis dahin zum Überleben brauchte, abgeschworen.
Unfreiwillig, denn es nährte sie seither einfach nicht mehr - und im Grunde war sie damit in einer ähnlich prekären Lage wie das Gros der reinblütigen Vampire.
Der ausschlaggebende Unterschied bestand jedoch darin, daß Gott bei ihr die Farbe des Blutes, das sie nährte, nur vertauscht hatte. Er hatte sie in die Abhängigkeit eines Stoffes gebracht, der sie im Innersten anwiderte:
Das Blut ihrer Feinde.
Vampirblut!
Lilith blinzelte in die Helligkeit des noch frühen Tages. Draußen war die Sonne bereits aufgegangen. Ihre goldenen Strahlen trafen fast waagerecht auf die Jalousien der Fenster und malten dunkle Streifen an die gegenüberliegende Wand. Staub tanzte im zerteilten Licht.
Lilith reckte sich, gähnte und schluckte mehrmals, um den Geschmack nach altem Leder loszuwerden, der in ihrem Mund war. Nicht, daß es etwas genutzt hätte .
Ihre Glieder waren so schwer und träge wie ihre Gedanken. Sie trat an das kleine Waschbecken des Motelzimmers und schaufelte sich kühles Naß ins Gesicht. Aber auch das half nicht, den letzten, hartnäckigen Rest von Müdigkeit loszuwerden.
Vielleicht würde etwas frische Luft helfen .
Lilith wandte sich zur Tür und gab dem Symbionten, der sich als breiter Gürtel um ihre Taille gelegt hatte, sie in eine Jeans und einen Rollkragenpullover zu kleiden.
Er reagierte nicht.
Verblüfft blieb Lilith stehen und wiederholte den Befehl.
Nichts. Keine Reaktion der nachtschwarzen, gestaltwandlerischen Masse, die ihr als Kleidung und Schutz diente. Er behielt die Form des Gürtels bei.
Irgend etwas stimmte hier nicht!
Der Gedanke brannte sich wie mit Feuer in Liliths Hirn.
Erst dieser Traum. Dann das nicht weichen wollende Gefühl der Schläfrigkeit. Und nun das Versagen des Symbionten - oder zumindest ihrer geistigen Verbindung zu ihm.
Was war hier los?
Nur mit dem Gürtel bekleidet trat sie zur Tür, öffnete sie mit einem Ruck.
Und erstarrte.
Die Welt dort draußen hatte sich dramatisch verändert.
Der Highway war verschwunden; ebenso die Motelgebäude und die kleine Tankstation. Das Land war nicht länger eine von sanften Flügeln unterbrochene Ebene, sondern zeigte herbstlich bunte Wälder und in der Ferne hochaufragende, schneebedeckte Berge - ohne ein einziges Zeichen von Zivilisation.
Das Gebäude, in dem Lilith übernachtet hatte, stand nur wenige Schritte vom Rand einer Schlucht entfernt, an deren Grund das silberne Band eines gewundenen Flusses das Sonnenlicht reflektierte.
Fassungslos, aber auf seltsam unechte Weise nicht wirklich erschrocken trat Lilith Eden ins Freie.
Obwohl das verdorrte Laub auf dem Boden die frühwinterliche Jahreszeit wies, verspürte sie keinerlei Kälte. Dabei war der Wind, der über ihren nackten Körper strich, fühlbar kühl. Doch es war, als würde die Empfindung die Nerven unter ihrer Haut nicht erreichen.
Lilith sah sich um - und erschrak nun doch. Aber
Weitere Kostenlose Bücher