Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Gespensterkrabben hinweg, die in ganzen Heerscharen zum Wasser hinuntertrippelten. Man sah Schwärme von Seevögeln, viele Skelette von gestrandeten Walen, hin und wieder eine hölzerne Kabeltrommel und halb vom Sand bedeckte Glasballons und Holzspieren. Und dann, eine halbe Stunde nördlich von Cape Fria, ein paar Meilen nachdem wir die nördliche Spitze einer langgezogenen und blendend weißen Salzfläche passiert hatten, entdeckte ich zwei Objekte, die bei unserem Näherkommen immer größer wurden, bis sie das Blickfeld ganz ausfüllten.
Das eine erwies sich als halb begrabener Metallzylinder, stark korrodiert und von ungefähr dreizehn Metern Länge. Sein oberer Teil war offensichtlich vom Wind und der Salzluft weggefressen worden, aus dem mittleren ragte ein Metallstab wie ein Speer gen Himmel. Nördlich und westlich dieses Trumms lagen reihenweise verfaulte Holzkisten im Sand, außerdem eine Anzahl von etwas, das wie Lukenabdeckungen aussah, kleine Mengen von Glühbirnen mit Bajonettfassung und ein paar Flaschen. Das alles war über eine Strecke von ungefähr hundert Metern verstreut.
Bei dem anderen, vielleicht zweihundertachtzig Meter weiter entfernten »Objekt« handelte es sich um hölzerne Stangen, einen kleinen Wald davon, die tief und fest in den Sand gerammt worden waren und so etwas wie Räume bildeten. Wenn sie mit Segeltuch oder Persenningen bedeckt gewesen wären, hätte man ein primitives Lager vor sich gehabt. Dieser Fund war es, der mich glauben ließ, dass wir an unserem Ziel angelangt waren.
Ein Mann in Windhuk, der sein Leben lang von der Geschichte der Dunedin Star fasziniert gewesen war, hatte mir die Koordinaten des Unglücksorts aufgeschrieben. Ich hielt das Blatt hoch und schaltete das GPS-Gerät ein, das ich dabeihatte. Das Ding brauchte ein, zwei Augenblicke, um die Verbindung zu dem Satellitennetzwerk über uns herzustellen, und dann erschien eine Angabe auf dem kleinen Schirm: 18° 28’ Süd, 12° Ost.
Das stimmte genau mit den auf den Zettel gekritzelten Zahlen überein. Dieser Unterschlupf, der Metallzylinder (vermutlich ein Heizkessel oder Tank, den das Schiff als Frachtgut an Bord gehabt hatte), die vielen Glühbirnen – das war alles, was von dem Wrack übrig geblieben war. Diese Überreste lagen jetzt bestimmt sechzig Meter von der Brandung entfernt auf dem Sand, doch genau dort, wo das Schiff damals auf Grund gelaufen war – eine Erinnerung daran, dass die Westküste Afrikas langsam ins Meer hinein vorrückt.
Wir verbrachten ein paar Stunden an der Stelle, das heißt, wir saßen ganz einfach wie gebannt da. Ich vertraute einem Aufnahmegerät ein paar Gedanken an, die ich für recht tiefsinnig hielt. Als ich die Kassette später abspielte, konnte ich wegen des Heulens des Windes und wegen des Sands, der gegen das Mikrofon geblasen worden war, meine eigenen Worte kaum verstehen. Doch mit Mühe konnte ich mich selbst etwas sagen hören, was ich bis zum heutigen Tag empfinde: dass es unglaublich bewegend war, an einem Ort zu stehen, an dem so viele Menschen schlimmen Entbehrungen ausgesetzt gewesen waren und es beinahe nicht geschafft hätten – am Ende aber doch überlebten.
Man sollte von solchen Orten nichts mitnehmen. Ich tat es aber doch, und zwar aus einem, wie ich meinte, guten Grund. Ich fand zwischen dem ganzen Strandgut eine winzige Glasflasche von der Art, wie sie in meiner Vorstellung eine der älteren Damen, die als Passagiere auf der Dunedin Star mitfuhren, in ihrer Handtasche bei sich gehabt haben könnte, mit Riechsalz gefüllt, für den Fall, dass ihr einmal unwohl werden würde. Das aus elegantem satiniertem Glas gefertigte Fläschchen war jetzt natürlich leer, doch der Schraubverschluss funktionierte noch. Ich wusste, was ich damit anstellen würde, wenn ich diese Expedition erfolgreich abgeschlossen hätte – wozu ich noch eine Sache finden musste.
Beinahe hätten wir es nicht geschafft. Mein Führer war so begeistert darüber, das Wrack entdeckt zu haben, dass er auf der Rückfahrt über den Strand ein absolut irres Tempo einschlug. Natürlich verläuft dort keine Straße, doch der Strand gibt normalerweise eine ideale Fahrpiste ab. Man muss nur genau darauf achten, wo man langfährt. Entfernt man sich nämlich zu weit vom Wasser, wird der Sand zu tief und trocken, die Räder drehen durch und graben sich ein. Kommt man hingegen dem Meer zu nahe, wird der Sand zäh wie Sirup, die Räder drehen sich wie von selbst in Richtung Ozean, und es kann
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