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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dünnen, zerbrechlichen Krusten ließen den Trupp, der in acht Automobilen unterwegs war, an einigen Tagen nicht mehr als zwei, drei Meilen vorankommen. Doch die Männer kämpften sich langsam weiter, bis sie nach sechsundzwanzig Tagen unvorstellbaren Leidens in der Gluthitze die Gestrandeten erreichten. Alle von diesen, auch ein Kleinkind, das vorübergehend nahezu erblindet war, lebten noch, und sie konnten in Sicherheit gebracht werden. Passenderweise an Heiligabend erreichten sie ein Militärkrankenhaus weiter im Süden.
    Die restliche Zeit des Krieges wurde die Geschichte geheim gehalten: Die Kolonialbehörden wollten die deutsche Kriegsmarine um jeden Preis im Ungewissen über Basen der Alliierten an der westafrikanischen Küste lassen. Erst 1958 wurde das Drama in allen seinen Einzelheiten bekannt. In jenem Jahr entdeckte ein südafrikanischer Marinehistoriker namens John Marsh die offiziellen Dokumente und verfasste einen Bericht über die Vorfälle mit dem Titel Skeleton Coast – dies war das Buch, das mich viele Jahre später in Patagonien so gefangen nahm.
    Damals beschloss ich, eines Tages an die Skeleton Coast zu reisen, einen Ort, der nach den vielen dort am Strand liegenden Gerippen – von Menschen wie auch von den Schiffen, mit denen sie untergingen – so heißt. Ich wollte feststellen, ob man noch Spuren von der Katastrophe, die sich dort 1942 ereignet hatte, entdecken konnte. Einige Jahre später trieb ich eine Mitfahrgelegenheit auf einem Handelsschiff auf, das mich von Patagonien in Richtung Osten, an den Falklandinseln, South Georgia und Tristan da Cunha vorbei, nach Kapstadt brachte. Von dort aus flog ich nach Windhuk in Namibia und dann in einer kleinen zweimotorigen Cessna zu einem Zeltlager mitten in der nördlichen Wüste, in der Nähe der Grenze zu Angola.
    In der Ferne hörte man die Brecher dröhnend an den Strand der Skeleton Coast schlagen. Es hieß, dass dieser Küstenstrich vollkommen verlassen sei; es gebe dort nur ein paar Robbenkolonien, Rudel von raubgierigen Schakalen, sich endlos hinziehende Sanddünen, Nebel, die am Morgen vom Meer aus heraufzogen, und die eiskalte Brandung. Bewaffnet mit Karten, auf denen die Stelle, wo das Wrack lag, genau verzeichnet war, machte ich mich mit zwei einheimischen Führern auf den Weg. Wir legten die Strecke in einem ramponierten alten Landrover zurück, der ein Zwillingsgetriebe besaß, über ein Sperrdifferential verfügte und dessen Reifen sich selbsttätig aufpumpen konnten – kurz, der mit allem ausgerüstet war, was man für eine Fahrt in tiefem Wüstensand benötigte. In der Nacht, in der wir aufbrachen, war es stockdunkel, abgesehen von den vielen funkelnden Sternen über uns. Es war auch kalt, und bis wir unser Ziel erreichten, hörte man nichts außer dem Stöhnen des Windes und dem schwachen Donnern der Wogen in der Ferne.
    Nachdem wir stundenlang durch den Sand geholpert waren und uns über Gebirgsausläufer und Gebirgsketten hinweggequält hatten, gelangten wir an einen Ort, den ich erkannte. Es war eine ins Meer ragende Landspitze namens Cape Fria, auf der eine Kolonie von Pelzrobben zu Hause war, eine stinkende und lärmende Horde, um die Rudel von Schakalen herumstrichen, die darauf warteten, eines der Jungtiere fortschleppen zu können. Dieses Kap war früher ein Orientierungspunkt und wurde in Marshs Buch erwähnt, da die Dunedin Star nur fünfzehn Meilen von ihm entfernt auf Grund gelaufen war. Doch die Männer und Frauen, die sich auf dem Strand in ihren Unterständen zusammengekauert hatten, hatten kein Funkgerät besessen und deswegen nicht gewusst, wie nahe sie diesem Kap und damit einer potenziellen Nahrungsquelle gewesen waren; Robben lassen sich nämlich leicht erlegen, und ihr Fleisch ist sehr sättigend und nahrhaft. Vielleicht war es ein Segen, dass die Schiffbrüchigen ihre genaue Position nicht kannten, denn in der Gluthitze und ohne Wasser hätten sie das Kap niemals zu Fuß erreichen können. Die Nahrung wäre außerhalb ihrer Reichweite geblieben, und das hätte ihrer ohnehin schon angeschlagenen Moral nur noch weiteren Schaden zugefügt.
    Die Hitze stand jetzt flirrend über dem Wüstenboden. Es war über zweiunddreißig Grad warm, die Luft scharf und trocken. Der Nebel, der in der morgendlichen Kühle über dem Ozean gelegen hatte, hatte sich jetzt aufgelöst, und die rasch höher kletternde Sonne hing wie eine kupferfarbene Scheibe an einem nahezu farblosen Himmel. Wir rollten über Tausende von

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