Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
bringen. Die natürliche Landschaft ist dort so gut wie bedeutungslos. Das Beglückende, Erhebende an Kapstadt liegt im Unterschied dazu überhaupt nicht in den Bauten der Stadt begründet, sondern in den samtblauen Bergen, die sie umgeben. Und diese ganze großartige Szenerie dient dazu, etwas deutlich zu machen, was das Meer schon weiß und was das genaue Gegenteil der Selbsttäuschung ist, der man sich in New York hingibt; dieses Umfeld bringt nicht den kreativen Genius von uns Menschen zum Ausdruck, sondern unsere absolute Bedeutungslosigkeit.
Vor noch nicht langer Zeit traf ich auf einem kleinen griechischen Schiff in Kapstadt ein. Wir hatten von der achtzehnhundert Meilen und drei Tagesreisen entfernten Insel Tristan da Cunha einen östlichen Kurs gesteuert. Wie versprochen hatte der ukrainische Rudergänger mich kurz nach fünf Uhr am Morgen unserer Ankunft auf die Brücke gerufen: Afrika, sagte er, liege jetzt direkt vor uns, und die Sonne werde sich bald über den Bergen erheben.
Es war ein vollkommen klarer Morgen, wolkenlos und frisch. Ein tief im Wasser liegender Frachter, der unter chinesischer Flagge fuhr, glitt steuerbord von uns über eine ruhige und ansonsten leere See. Der Sonnenaufgang kündigte sich vor uns mit einem ersten Glühen am Himmel an, darunter zeichnete sich vor hellviolettem Hintergrund eine zerklüftete Bergkette ab, die in einem scharf abfallenden Felsen endete – das frühere Kap der Stürme, das inzwischen Kap der Guten Hoffnung heißt. Nördlich von ihm stieg das Land erst an, ging dann in einen langgestreckten Abhang über, um anschließend wieder schräg und relativ sacht anzusteigen. Hinter dieser Schräge kam die Sonne zum Vorschein und verwandelte die Farbe des Landes, das jetzt noch zwanzig Meilen entfernt war, von Blau in Geröllbraun und dort, wo Gras wuchs, in Grün.
Bald konnten wir Bäume erkennen, die die Bergkuppen wie zarte Stoppeln bedeckten, und einige der Küstenvororte von Kapstadt, Camps Bay, Sea Point und Three Anchor Bay, kamen nach und nach in Sicht; allerdings sahen sie nur wie blassere Flecken auf den grünen Hängen aus. Simonstown, der alte Stützpunkt der Royal Navy am Nordende von False Bay, war von einem dünnen Schleier aus Morgennebel eingehüllt. Als wir uns der Küste weiter näherten, wurde einem der alles dominierende Berg immer vertrauter und teilte sich schließlich in die einzelnen Komponenten auf, aus denen er bestand: Signal Hill und Lion’s Head zur Rechten und den gewaltigen Tafelberg mit seiner geraden Gipfelschabracke direkt vor uns. Als wir in die Table Bay einschwenkten, konnte man die Lichter von Kapstadt in der Ferne blinken sehen. Und auf der Küstenstraße fuhren Autos. Unterhalb ihres schützenden Saums von Bergen wurde die große Stadt wach und machte sich für einen weiteren südafrikanischen Spätfrühlingsmorgen bereit.
Wir drangen unaufhörlich weiter vor in die ruhige Bucht, vorbei an einer Schar vor Anker liegender Schiffe, von denen einige auf einen Liegeplatz an den Docks warteten. Backbord lag Robben Island, auf der die Kolonialherren einst ihre Leprakranken in sicherer Isolation festgehalten und die Afrikaander ziemlich genau dasselbe, allerdings mit viel weniger Erfolg, mit Nelson Mandela getan hatten.
Wir waren jetzt schon sehr nahe ans Ufer herangeglitten und verlangsamten unsere Fahrt immer mehr. Der rhythmische Klang von Hammerschlägen drang plötzlich sehr klar zu uns herüber, und wir konnten die Funken von Schweißbrennern sehen; beides kam von einer Stelle, wo dicht am Ufer ein neues Stadion gebaut wurde. Unsere Maschinen stoppten kurz, und wir schwankten neben einer Boje auf und ab, bis ein kleines weißes Lotsenboot aufgeregt und geschäftig zu uns herangetuckert kam. Am Steuer stand ein älterer Schwarzer, während der Lotse selbst, jung und forsch und in eine frisch gebügelte Uniform gekleidet, an Bord gehüpft kam und einige Augenblicke später schon auf der Brücke stand, um uns zu unserem Liegeplatz im Victoria and Alfred Dock zu bringen – der einzige Bau von Bedeutung, der Kapstadt als wichtigen Atlantikhafen kenntlich macht.
Die Chamarel , ein Kabelleger französischer Konstruktion, lag auch gerade in diesem Dock. Auf ihr war man damit beschäftigt, alles für die bevorstehende Abfahrt vorzubereiten. Vor allem schaffte man riesige Trommeln mit Lichtwellenleiterkabel an Bord, das entlang der westafrikanischen Küste verlegt werden sollte. Einige Jahre zuvor hatte die Chamarel dabei
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