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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Weg. Er war gar nicht so hochmütig, wie er aussah, und reagierte überhaupt nicht unwirsch. »Achten Sie darauf, dass der Ozean immer zu ihrer Rechten liegt«, sagte er, »dann können Sie sich kaum vertun. Und denken Sie daran, unterwegs immer nach Afrika Ausschau zu halten.«
    Santo Domingo, die sich nach allen Richtungen hin ausbreitende Stadt auf Hispaniola, dreitausend Meilen weit entfernt auf der anderen, der westlichen Seite des Ozeans gelegen, besitzt wenige solcher unmittelbar sichtbaren Attraktionen; diese wollen erst entdeckt sein. Mehr als zwei Millionen Menschen sind in der im Allgemeinen hässlichen und wenig inspirierenden Hauptstadt eines unrettbar korrupten Inselstaats (man teilt sich die Insel mit Haiti) zusammengedrängt. Doch am rechten Ufer des Ozama River liegt das alte Viertel, der Reliquienschrein jener Stadt, die Bartolomeo Kolumbus, der Bruder des Christoph, 1498 gründete und die nach einem verheerenden Hurrikan vier Jahre später wieder aufgebaut wurde. Und dieses Viertel entspricht viel mehr dem, was man zu finden gehofft hat.

    Die zum Meer hin gelegene Front vieler Städte zieren seit Jahrhunderten Gebäude, die Respekt und Ehrfurcht vor der See widerspiegeln. Cádiz (o. l.) besitzt Monumente, die an die Händler und Forscher aus phönizischer und römischer Zeit erinnern. Gebäude in Liverpool (o. r.) und New York (u. l.) geben etwas von der kommerziellen Energie dieser Städte wieder. Jamestown (u. r.) auf Sankt Helena mitten im Atlantik, ist mit seinen georgianischen Bauten seit dreihundert Jahren eine Zufluchtsstätte für an der Insel vorbeireisende Kaufleute.
    © Cadíz: Fotografie von Daniel Sancho; Liverpool: Fotografie von Chris Howells; Jamestown: Mit freundliche Genehmigung von Wikitravel
    Aus der damaligen Zeit erhaltene Gebäude lassen erkennen, wie großartig, ganz ähnlich wie Cádiz, diese Stadt aussehen könnte. Noch vor eineinhalb Jahrhunderten war die ciudad colonial – formell als Santo Domingo de Guzmán bekannt, nachdem sie zuerst zu Ehren der Königin, die die Expedition finanziert hatte, den Namen La Isabella getragen hatte – eine Atlantikstadt wie aus dem Bilderbuch. Zum Meer hin erhob sich ein gewaltiger Uferdamm, an dessen Fuß sich die Wogen tosend brachen. Es gab ein Dock und einen Leuchtturm und innerhalb der Wälle eine Kaserne, ein Pulvermagazin und einen Semaphor. Ein kurzer orgiastischer Ausbruch kolonialer Bauwut ließ dann im frühen 16. Jahrhundert einen riesigen Gouverneurspalast entstehen, eine schön proportionierte Kathedrale, das eine oder andere Herrenhaus eines reichen Kaufmanns, ein Kloster, ein Spital und eine Reihe weiterer ganz weltlichen Zwecken dienender, aber architektonisch eleganter Bauten wie ein Lagerhaus und ein Schlachthaus. Auf der zum Land hin gelegenen Seite durchbrach ein großes Tor mit eichenen Türen und zinnenbewehrten Türmen die Stadtmauer, durch das spanische Soldaten auf Unternehmungen ins Hinterland von Hispaniola ausrücken konnten.
    Santo Domingo war in vielfacher Hinsicht eine klassische am Ozean gelegene Festungsstadt: Die schmalen Gassen waren gitterförmig angeordnet, all das, was zum Leben fern der Heimat wie auch zur imperialen Expansion unabdingbar war, fand sich hier auf engstem Raum innerhalb der Wehrmauern aus ein Meter zwanzig dicken Korallenkalkquadern zusammengedrängt. Das wenige, was aus jener Zeit noch existiert, untersteht jetzt dem Schutz der United Nations, die dafür Sorge tragen, dass es zum Nutzen aller erhalten bleibt und die großen historischen Gebäude – die erste Kathedrale auf amerikanischem Boden, das erste Kastell und der erste Palast – dem Zugriff der Immobilienhändler und Bauunternehmer entzogen bleiben, die den Rest der Stadt mit Hochhäusern und Einkaufszentren verunstaltet haben. In der Altstadt läuft man noch über Kopfsteinpflaster, auf der Plaza de España herrscht geschäftiges Treiben, und die Seemöwen, die vom Meer hereinkommen, segeln kreischend in der Brise.
    Jeder, der zur Abendzeit hoch oben auf den Wehrmauern an den schwarzen Eisenkanonen vorbeischlendert, kann sich eins fühlen mit einem Spaziergänger, der vielleicht in Cádiz unterwegs ist, eine halbe Welt entfernt. So, könnte man in Versuchung sein, über den Ozean hinweg dem anderen zuzuflüstern, müssen die ersten Atlantikstädte am Beginn ihrer Existenz ausgesehen, geklungen und auf einen gewirkt haben. Das Stampfen und Klacken von genagelten Militärstiefeln auf dem Pflaster aus geglättetem

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