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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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diesen siebenundvierzig Quadratmeilen Basalt zu gelangen, die von ungefähr fünftausend Menschen bewohnt werden.
    Nicht befahren deswegen, weil die Dampfer der Union Castle Line Jamestown anzulaufen pflegten, diese Route aber schon vor langer Zeit aufgegeben wurde. Den letzten Besuch stattete ihr im Herbst 1977 die Windsor Castle auf ihrer Fahrt nach Norden ab. Dann stellte man den Dienst ein, und als ich mich zum ersten Mal dorthin begeben sollte, war es gar nicht so einfach, die Fahrt zu organisieren: Mit »4 Uhr, jeden Donnerstag« war schon Schluss.
    Ich war damals – lang ist’s her – auf die Insel entsandt worden, um eine Geschichte über den merkwürdigen Fall eines ihrer Bewohner zu schreiben – eines Saint , wie man sie immer noch nennt. Er war eines nicht allzu ruchlosen Mordes überführt worden (er hatte bei einem Wirtshausstreit jemanden getötet, die Tat war also im Affekt geschehen) und wurde nach England geschafft, um dort seine Strafe abzubüßen.
    Wie man mir erzählte, kam es auf der Insel nur selten zu schwereren Verbrechen, ja, die Einheimischen sollten einander so herzlich zugeneigt sein, dass es eine alarmierende Zahl von unehelichen Kindern gab. Ich erfuhr auch, dass die örtlichen Polizisten sehr wenig zu tun hatten und als »the toys«, als Spielzeugpolizisten, bezeichnet wurden. Außerdem sei das Gefängnis von Jamestown so klein, und es herrsche aufgrund der äquatorialen Hitze eine so drückende Luft in ihm, dass man die Insassen jeden Nachmittag herausließ, damit sie ein Bad im Atlantik nehmen konnten.
    Das, so meinte ich an einem trüben Nachmittag in London, war genau die Art von Ort, den man einmal im Leben gesehen haben musste: eine mitten im Ozean gelegene koloniale Besitzung von ehrwürdigem Alter, wo man das Leben, so schien es jedenfalls aus der Ferne, weniger niederdrückend ernst nahm als anderswo. Nach vielen vergeblichen Versuchen schaffte ich es, eine Passage auf der Achtzigerjahreausführung der RMS St. Helena zu ergattern – einer kleineren, gedrungeneren und leuchtend rot gestrichenen Vorgängerin des Schiffs, das ich später an Robben Island vorbeifahren sah. Nach einigen Verzögerungen und Aufregungen dampften wir aus den Western Approaches und begannen dann mit nicht mehr als zehn Knoten Geschwindigkeit nach Süden zu fahren, an den Kanaren und an den Kapverdischen Inseln vorbei durch das wärmer werdende tropische Meer, in dem es von großen Schwärmen Fliegender Fische wimmelte.
    Es kam zu einem kleinen Zwischenspiel, als wir kurz bei einem anderen der entlegenen kolonialen Außenposten im Atlantik hielten, der aus einem erloschenen Vulkan bestehenden Insel Ascension, auf der es ein Flugfeld und eine Menge teurer Kommunikationsanlagen gibt (von denen einige auch zur Spionage dienen) sowie einen Flecken von gut bewässertem Grasland oben auf dem Gipfel des Green Mountain, wo eine Herde Kühe zu weiden pflegte, für die aus mysteriösen Gründen eine obskure Abteilung der Londoner BBC verantwortlich war. Wir legten an, um einen Trupp Saints an Bord zu nehmen, die auf dieser Insel, die größtenteils wie ein Schlackenhaufen aussieht oder »die Hölle, wenn das Feuer ausgegangen ist«, wie einige griesgrämigere Zeitgenossen behaupten, für Bauunternehmer arbeiteten. Doch die Löhne, die man auf Ascension zahlt, sind gut, und es gibt kaum etwas, für das man das verdiente Geld ausgeben kann, also waren damals nicht wenige Saints glücklich, wenn sie langfristig für Arbeiten auf der Insel unter Vertrag genommen wurden.
    Doch am glücklichsten fühlten sie sich, wenn sie am Ende wieder zu Hause waren, was die neu an Bord genommenen Passagiere nach zwei weiteren Tagesreisen sein würden. Bei der Ankunft in Jamestown verbreitete sich eine ganz eigene heitere Atmosphäre, wie es in Seehäfen oft der Fall ist: Die Männer wurden mit ihren Ehefrauen wiedervereint, mit ihren Kindern, die in der Zwischenzeit ein ganzes Stück gewachsen waren, und sie erfuhren den ganzen Klatsch und die Nachrichten, die bislang noch nicht zu ihnen gedrungen waren. Obwohl die Stimmung dieses Nachmittags von der Wiedersehensfreude geprägt wurde, hielt er für mich eine Offenbarung ganz anderer Art bereit. Jamestown entpuppte sich als winzige Atlantikstadt, die allen anderen an diesem Ozean gelegenen Städten in keiner Weise ähnelte und von Größe, Stil und ihrer ganzen Art her nur »exquisit« genannt werden konnte. Jamestown ist wirklich ein Kunstwerk – und darüber hinaus ein

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