Der Attentäter - The Assassin
das Gebäude einzubrechen. Der Computer hatte das Passwort aus der ORACLE-Akte sofort akzeptiert, wodurch er zu der kompletten Datenbank Zugang hatte. Normalerweise hätte er sich die Zeit genommen, alles auf eine Silberscheibe zu kopieren, doch angesichts der Umstände interessierte ihn
nicht mehr, welche deutschen Diplomaten tatsächlich Geheimdienstler waren. Ihn interessierte einzig und allein Thomas Rühmann.
Er benutzte eine in das System integrierte Suchmaschine und grenzte seine Anfrage auf die beiden Jahre ein, als der österreichische Waffenschieber in der Botschaft gearbeitet hatte. Als er gerade auf die Suchergebnisse wartete, hörte er Kharmais dünne Stimme. Es war offensichtlich, dass sie mit sich selbst redete, ihre Nerven mussten zum Zerreißen gespannt sein.
Zuerst glaubte er, sie wäre in der Akte über etwas Ungewöhnliches gestolpert, doch als das Funkgerät weiter stumm blieb, war ihm klar, dass etwas nicht stimmte. Er drückte umgehend auf den Knopf und fragte nach.
»Ryan …« Ihre schwache Stimme war kaum hörbar, es klang fast, als hätte sie einen Asthmaanfall gehabt. »Hinter mir steht ein Streifenwagen. Ich sehe den Polizisten durch die Windschutzscheibe. Meiner Meinung nach überprüft er gerade das Kennzeichen.«
»Was?« Sein Gehirn suchte fieberhaft nach einem Ausweg, aber es ließ sich nichts daran ändern, dass die ORACLE-Akte in dem Auto war. Was auch geschah, diese Papiere durften auf keinen Fall in die falschen Hände geraten. »Du musst abhauen, sofort. Wir dürfen nicht zulassen, dass er …«
»Wo soll ich denn hinfahren?«, fragte sie hektisch. »Um diese Uhrzeit kann ich ihn nicht abhängen, es herrscht keinerlei Verkehr. Scheiße, jetzt steigt er aus. Was soll ich tun? Ryan, was soll ich bloß tun? «
»Hör zu, Naomi. Du musst … Naomi?«
Das Funkgerät war stumm, selbst das übliche Knistern wäre erfreulicher gewesen als die unheimliche Stille.
Er fluchte leise, beendete das Programm und löschte das Protokoll. Nachdem er den Rucksack aufgesetzt hatte, wandte er sich zur Tür. Erst da begriff er, dass er nicht allein war. Zwei Männer in blauen Uniformen blockierten den Ausgang, und beide richteten ihre Pistole auf seine Brust.
31
Washington, D.C.
»Hier Streifenwagen 2054, bitte überprüfen Sie ein Kennzeichen für mich.«
Steve Lowe, Officer First Class bei der Washingtoner Polizei, fuhr sich mit einer Hand über die fleischige, glattrasierte Wange und schaute durch die Windschutzscheibe auf das vor ihm parkende Auto. Der Anruf war vor einigen Minuten eingegangen, und da in seinem Bereich des zweiten Bezirks nur acht - anderweitig beschäftigte - Polizisten Nachtschicht hatten, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als selbst an den Apparat zu gehen und sich um diese Kleinigkeit zu kümmern. Zwei andere Streifenwagen waren zum Ort einer Schießerei unterwegs.
Verdächtiges Fahrzeug in Senate Heights … Er schüttelte müde den Kopf. Wie bei neunzig Prozent aller Anrufe dieser Art steckte wahrscheinlich nichts dahinter - irgendjemand hatte sich ausgesperrt und wartete auf die Ersatzschlüssel, oder eine von ihrem Freund verlassene Frau lauerte vor dem Haus ihres Ex darauf, ein zweite Chance zu bekommen. Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen, aber im Laufe der Jahre hatte Lowe zu beurteilen gelernt, ob etwas dahintersteckte oder nicht. Und auch, eine Situation auf den ersten Blick einzuschätzen. Das Auto vor ihm - ein relativ neuer Ford Taurus - ließ bei ihm nicht gerade die Alarmglocken schrillen. Soweit er sah, saß nur eine Person darin, vermutlich eine Frau, was ihm auch am
Telefon gesagt worden war. Mit der Geschichte würde er allein klarkommen, und er war froh darüber. Sein Partner lag mit Grippe im Bett, wie die Hälfte der Belegschaft. Normalerweise hätte er jemand anders mitgenommen, was aber wegen der knappen Personaldecke nicht möglich war. Aber es störte ihn absolut nicht, er arbeitete sowieso lieber allein. Er verachtete seinen Partner, und die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Tatsächlich wechselte er mit allen Kollegen des zweiten Bezirks kaum noch ein Wort.
Begonnen hatte alles vor einem Jahr. Die ersten Gerüchte waren aufgetaucht, als mehrere seiner Kollegen in das Büro ihrer weiblichen Vorgesetzten gerufen worden waren, um sich wegen kleinerer Vergehen gegen die Dienstvorschriften befragen zu lassen. Lowe war zufällig bei jedem der Vorfälle dabei gewesen, wodurch für die anderen feststand, dass nur er die
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