Der Attentäter - The Assassin
zugeschlagen hatte, fing sich Kharmai schnell. Sie beobachtete, wie er zur Vorderseite des Streifenwagens ging, nach seinem Mikrofon griff und sich zum Grundstück der Botschaft wandte. Kharmai beschloss, sich genauer in dem Wagen umzusehen. Ob sich die Tür öffnen ließ, war egal, sie konnte ohnehin nirgendwohin flüchten. Also betrachtete sie das zwischen
den Sitzen montierte Funkgerät, dessen grüne Anzeige eine »1« zeigte. Es war eingeschaltet, und sie lauschte, ob Lowes nasale, unangenehme, leicht zu erkennende Stimme zu hören war. Nichts. Er musste einen anderen Kanal benutzen.
Sie presste ihr Ohr an die Seitenscheibe, gab es aber schnell auf, als ihr bewusst wurde, wie vergeblich es war, so etwas aufschnappen zu wollen. Vielleicht ließ er das Kennzeichen des Taurus noch einmal überprüfen, vielleicht nahm er aber auch Kontakt zu seiner Polizeiwache auf. Allmählich geriet sie in Panik. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, eine überzeugende Vorstellung als etwas hilflose Frau zu liefern, denn nur er konnte sie laufen lassen. Es hatte keinen Sinn, hier weiter mit ihm herumzusitzen und auf einen Abschleppdienst zu warten, der nie kommen würde. Unglücklicherweise hatte er ihr die Masche nicht abgenommen, und sie hatte nicht mehr erreicht, als ihn zu überreden, nicht auf der Rückbank sitzen zu müssen, wo sie nicht einmal ihren weiblichen Charme wirkungsvoll ausspielen konnte.
Leise fluchend überlegte sie, ob sie richtig gehandelt hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, ihm ihren richtigen Ausweis zu zeigen, aber womöglich hätte ihn auch das nicht davon abgehalten, sie trotzdem festzunehmen, und sie konnte es sich nicht leisten, in einem Polizeibericht aufzutauchen. In diesem Fall wäre es zu leicht gewesen, sie später mit dem Einbruch in die Botschaft in Verbindung zu bringen, denn schließlich hatte sie direkt gegenüber geparkt. Ideal wäre es gewesen, wenn sie einen Ausweis mit einem anderen Namen dabeigehabt hätte, doch selbst wenn Harper bereit gewesen wäre, ihr einen zur Verfügung zu stellen, wäre keine Zeit geblieben, ihn zu fälschen. Außerdem wären Fragen gestellt worden, warum für eine normale Analystin ein Ausweis gefälscht werden sollte. Es
hätten zu viele Leute eingeweiht werden müssen, was in diesem speziellen Fall völlig unangebracht gewesen wäre.
Die Dinge standen nicht gut, und es konnte noch schlimmer kommen. Wenn ein Detective auftauchte, um die Befragung zu übernehmen, würde sie die beiden nie rechtzeitig loswerden. Kealey hatte über Funk durchgegeben, dass er gefunden hatte, was sie brauchten. Jetzt musste er nur noch die Botschaft verlassen und zum Auto zurückkehren.
Vielleicht sieht er den Streifenwagen und verschwindet. Sie glaubte nicht daran, dass er sie allein zurücklassen würde, aber vielleicht wäre das die beste Lösung. Man konnte sie nicht verhaften, sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Vielleicht konnte man sie für eine Vernehmung festhalten, doch wenn sie an ihrer Geschichte festhielt, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sie laufen zu lassen. Gelang es ihnen hingegen, einen hinreichenden Verdacht zu konstruieren, würden sie es vielleicht auch schaffen, einen Durchsuchungsbefehl für den Taurus zu bekommen. Wenn es so weit kam, würden sie sofort die Akte auf dem Beifahrersitz finden.
Bei dem Gedanken wurde ihr plötzlich ganz anders zumute. Wenn die in der ORACLE-Akte enthaltenen belastenden Informationen publik wurden, reichte das allemal, um die CIA fünf Jahre durch den Dreck zu ziehen. Außerdem würde eine Veröffentlichung unweigerlich ihre Karriere zerstören. Sie durften auf keinen Fall den Taurus durchsuchen.
Von dem Beifahrersitz aus war die Botschaft kaum sichtbar, nur ein verschwommener dunkler Fleck zwischen den Bäumen. Sie starrte in die Finsternis, vergeblich nach Kealey Ausschau haltend.
Komm schon, Ryan. Wo bist du?
32
Washington, D.C.
Kealey reagierte instinktiv und blitzschnell. Er griff nach der Pistole des am nächsten stehenden Sicherheitsbeamten und schrie aus vollem Hals, um Verwirrung zu stiften. Da er nicht zum ersten Mal in so einer Situation war, wusste er genau, dass eigentlich nichts für ihn sprach. Mit einem Mann konnte man locker fertig werden, bei zweien war alles anders. Selbst wenn die beiden schlecht ausgebildet waren, würde es ihnen kaum gelingen, ihn auf diese Entfernung nicht zu treffen. Aber vielleicht neigten sie zum Zögern. Als Deutsche hatten sie bestimmt den obligatorischen
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