Der Attentäter - The Assassin
Essen auf. Beide hatten geduscht und sich umgezogen. Er trug ein graues Sweatshirt mit dem Logo der University of Chicago, sie einen weißen Rollkragenpullover. Beide hatten eine frische Jeans angezogen. Obwohl Kealey ähnlich gekleidet war, fühlte Kharmai sich nicht gut genug angezogen für ihren ersten Besuch im Haus ihres Chefs. Aber das unbehagliche Gefühl verschwand, als Harper in ähnlich legerer Kleidung die Treppe hinunterkam. Er hatte seinen Anzug gegen eine Khakihose und einen schwarzen Pullover eingetauscht. Als der Tisch gedeckt war, begann Julie das Essen aufzutragen.
Es war einfach, aber sehr gut. Als Vorspeise gab es eine Gemüsesuppe, danach Bandnudeln mit Sauce, sautierte Schrimps, Brot und Salat. Julie gab sich Mühe, das Gespräch in Gang zu halten, und Kharmai bemerkte, dass sie immer wieder sorgenvolle, mütterliche Blicke in Kealeys Richtung warf. Als alle aufgegessen hatten, bot sie an, Julie beim Abräumen zu helfen, um sie in der Küche einen Moment allein sprechen zu können, aber Harper machte ihr einen Strich durch die Rechnung.
»Tut uns leid, Julie, dass wir sofort verschwinden, aber wir haben einiges zu besprechen.«
»Das Essen war wunderbar«, sagte Kharmai, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. »Vielen Dank, Mrs Harper.«
Julie Harper strahlte. »Ich bin glücklich, dass es Ihnen geschmeckt hat, meine Liebe.«
Kharmai musste lächeln. Obwohl Harpers Frau mit Sicherheit noch keine fünfundvierzig war, ähnelte ihre Persönlichkeit der einer deutlich älteren Frau. Das war nicht unangenehm, aber es erschien ihr schon etwas seltsam, von einer Frau, die gerade mal gut zehn Jahre älter war als sie, »meine Liebe« genannt zu werden.
Sie folgte den beiden Männern die Treppe hinauf in ein holzgetäfeltes Büro, das mit ledernen Klubsesseln, einem riesigen Schreibtisch und Perserteppichen eingerichtet war. Nachdem Harper sie aufgefordert hatte, sich zu setzen, ging er zum Schreibtisch, griff nach seiner Aktentasche, die er aus dem Suburban mitgenommen hatte, öffnete sie und zog einen Stoß Papiere heraus. Julie kam mit einem Tablett herein, stellte eine Kanne Kaffee und Tassen auf den Tisch und strich Kealey noch sanft mit der Hand über die Schulter, bevor sie wieder verschwand.
Harper setzte sich zu ihnen. »Also dann. Womit fangen wir an?«
Kharmai ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Was ist mit dieser Frau, Sir? Liz Peterson sagte, sie hätte Ihnen Bildmaterial der Überwachungskameras aus dem Londoner Savoy zukommen lassen.«
Harper nickte und schob einige Fotos über den Tisch, die Kharmai sofort durchsah, bevor sie sie an Kealey weitergab. »Wissen wir, wer sie ist?«
»Leider nicht.« Harper schenkte Kaffee ein. »Unsere Gesichtserkennungs-Software, die, wie Sie wissen, der des MI5 ähnelt, hat einen Treffer gefunden, wenn auch nur einen mit neun Knotenpunkten. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit von vierzig Prozent … Nicht besonders vielversprechend.«
»Vielleicht, aber es ist immerhin ein Anfang«, sagte Kharmai, darum bemüht, ihren Optimismus nicht zu verlieren. »Wen glaubt die Software zu erkennen?«
Harper reichte ihr die nächsten beiden Fotos. »Samara Majid al-Khuzaai, eine achtunddreißigjährige Sunnitin, geboren in Bagdad. Ihr Vater gehörte zur Speziellen Republikanischen Garde, der Saddam am treuesten ergebenen Eliteeinheit, unter
anderem für seine persönliche Sicherheit zuständig. Kurz nach der Invasion wurde er in Nadschaf verhaftet. Nachdem wir ihn aus seinem Versteck gezerrt hatten, schrie er, es sei noch nicht vorbei, seine Tochter werde den Kampf fortführen. Selbst wenn sie in einem aufgeheizten Moment fiel, war seine Bemerkung doch Anlass für eine kurze Untersuchung, bei der unter anderem herauskam, dass er nur ein Kind hat, nämlich diese Samara.«
Kharmai studierte auf den beiden Fotos al-Khuzaais Gesicht und schaute dann wieder auf die von der Überwachungskamera aufgenommenen Bilder. Al-Khuzaai und Vanderveens Reisegefährtin hatten für sie nicht allzu viel Ähnlichkeit.
Nachdem sie die Bilder an Kealey weitergereicht hatte, sagte sie: »Was soll das heißen, ›den Kampf fortführen‹? War das eine Drohung?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Harper. »Aber sie sitzt nicht hinter Gittern und hat auch nicht in Jordanien oder Syrien um politisches Asyl nachgesucht. Die auf den Mittleren Osten spezialisierte Gruppe unserer Antiterrorabteilung glaubt, dass sie immer noch im Irak lebt und die Aufständischen
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