Der Attentäter - The Assassin
Muskelverkrampfungen und unregelmäßiger Atmung führen. Außerdem musste er durch eine Scheibe feuern, was immer problematisch war, aber besonders dann, wenn man ein Gewehr benutzte, das höchstens mit Patronen vom Kaliber.308 geladen werden konnte. Wenn ihm das nicht reichte, blieb ihm nur der Moment allgemeiner Verwirrung - etwa fünf Sekunden -, um in Deckung zu gehen, und es war zwingend erforderlich, dass die Zielperson schon durch die erste Kugel starb. Es war sehr gut möglich, dass die französischen Sicherheitskräfte mindestens einen der von Raseen angeheuerten Männer ausschalten würden, doch darauf konnte er nicht zählen. Also blieben nur ein paar Sekunden, in denen er die Lage einschätzen, eine Entscheidung fällen und handeln musste.
Raseen lehnte an einem Baumstamm und beobachtete, wie er die letzten Handgriffe vornahm. Es war eine furchterregende Waffe, die nachträglich für die Montage eines Schalldämpfers modifiziert worden war. Als er ihn festschraubte, stellte er mit Genugtuung fest, dass sich der Schalldämpfer auch durch mehrere aufeinanderfolgende Schüsse nicht lockern würde, da er ein Linksgewinde hatte.
Zuletzt montierte er das Leopold-Mark-4-Zielfernrohr, das problemlos auf der Halterung einrastete. Er ging zu Raseen, reichte ihr die Waffe, öffnete den Rucksack und nahm eine gewöhnliche Zielscheibe mit konzentrischen Ringen und einem Rastermuster im Hintergrund heraus. Dann benutzte er den Leica-Entfernungsmesser, um die Distanz zu einem Baum festzustellen - fünfundzwanzig Meter. Nachdem er die Zielscheibe an dem Stamm befestigt hatte, ging er zurück und nahm Raseen die Waffe aus der Hand.
In dem Rucksack befand sich eine Matte, die er entrollte
und auf den Boden legte, bevor er den Rucksack auf das Ende stellte. Dann legte er sich hin, stützte den linken Unterarm auf den Rucksack und presste das Gewehr an die rechte Schulter. Mit Hilfe des Zielfernrohrs nahm er die Zielscheibe ins Visier, und nachdem das Fadenkreuz sich auf dem schwarzen Punkt eingependelt hatte, atmete er aus und drückte ab.
Pierre Besson brachte seinen Traktor zum Stehen und starrte auf den am Straßenrand parkenden Mercedes. Er war für heute mit der Arbeit fertig, auf dem Rückweg zu seinem zwei Kilometer entfernten Bauernhof und freute sich auf eine warme Mahlzeit und den anschließenden Verdauungsschlaf. Er war ein Mann, der den kleinen Freuden des Lebens viel abgewinnen konnte, wie es sich für einen bescheidenen Landwirt aus der französischen Provinz gehört. Den Bauernhof hatte er im letzten Frühjahr geerbt, und die seitdem verflossenen Monate hatten seine Sicht der landwirtschaftlichen Arbeit verändert. Bisher hatte sich mit ihr für ihn das Bild einer einsamen, zurückgezogen Existenz verbunden, und vor einem Jahr hätte er sich mit Sicherhit nicht vorstellen können, dass sein Leben diese Wendung nehmen würde. Damals hatte er gerade sein Studium der Agrarwissenschaft am Institute Superieur d’Agriculture in Lille abgeschlossen. In den Monaten vor dem Diplom hatte er darüber nachgedacht, sich für die Forschung zu entscheiden und von einem Dasein in sonnigen Gefilden geträumt, doch der natürliche Lauf der Dinge hatte ihn zu jenem Leben zurückgeführt, das er von Kindesbeinen an kannte.
Außerdem gab es auch positive Aspekte. Laut Auskunft seines Anwalts war sein Grundbesitz über 1,3 Millionen Euro wert. Wenn er die Nase voll hatte, konnte er alles verkaufen und für den Rest seiner Tage sorgenfrei leben. Das war eine
verlockende Aussicht für den sechsundzwanzigjährigen Besson, doch sein Name war zu sehr mit dem Land verbunden, um auch nur über diese Möglichkeit nachzudenken. Sein jugendlicher Freiheitsdrang änderte nichts daran, dass er fest in der Familientradition verwurzelt war. Die mehr als zweihundert Morgen Land waren seit fünfundsiebzig Jahren Eigentum seiner Familie, und dazu gehörte auch die schmale Zufahrtsstra ße, an der das fremde Fahrzeug geparkt war.
Nachdem er die Handbremse angezogen hatte, stieg Besson von seinem Traktor herunter und nahm den fast neuen Mercedes in Augenschein, der leer und dessen Besitzer nirgends zu sehen war. Die Motorhaube war geschlossen, nichts deutete auf eine Panne hin. Aber warum sollte jemand hier anhalten? Da es bis zum Fluss ziemlich weit war, konnten es eigentlich keine Angler sein. Außerdem fuhren die meistens nicht solche Luxusautos. Er konnte sich keinen Reim auf die Geschichte machen.
Dann sah er die Spuren im Schlamm,
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