Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Attentaeter von Brooklyn

Der Attentaeter von Brooklyn

Titel: Der Attentaeter von Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
Vom Netzwerk:
vergessen .
    Er klopfte an eine Schlafzimmertür und sah hinein. Das Bett war nicht gemacht. In dem kleinen Raum verdunkelte ein frei stehender Schrank fast das gesamte Fenster. Über dem Bett hing eine Kalligrafie der Anfangsverse des Korans in goldener Schrift auf schwarzem Grund. Auf der Fensterbank standen zwei gerahmte Fotos von Raschid. Das erste zeigte ihn mit seinen Eltern. Das zweite war aufgenommen worden, als er zur Highschool ging; darauf posierte er mit seinen drei besten Freunden und seinem Geschichtslehrer, dem grinsenden Omar Jussuf. Er schüttelte den Kopf. Das Foto erinnerte ihn daran, wie schnell er gealtert war. Vielleicht schien in seinem gegenwärtigen Leben auch nur das Lächeln deplatziert, weil seine Heimatstadt seit jenen Tagen, in denen er die Jungen unterrichtet hatte, die jetzt in diesem Apartment wohnten, immer stärker von Elend und Tod geprägt worden war.
    Er ging ins nächste Zimmer. Eine Gardine war aufgezogen. Durchs Fenster brach so mattes Licht, dass Omar Jussuf lediglich erkennen konnte, dass da jemand im Dunkeln auf dem Bett in der anderen Zimmerecke lag.
    »Ala, mein Sohn? Wach auf.« Er klopfte leise an den Türrahmen. »Nisar?«
    Die Gestalt auf dem Bett rührte sich nicht. Im kränklichen Fensterlicht erkannte Omar Jussuf zwei Beine in einer gut gebügelten schwarzen Hose und glänzenden schwarzen Halbstiefeln. Er trat näher heran, blinzelte ins Dunkel. Er streckte die Hand aus, um den Arm des Schlafenden zu rütteln, berührte den Ärmel eines Seidenhemds und merkte, dass es nass war. Er zuckte zurück und riss die zweite Gardine auf.
    Omar Jussuf stolperte und fiel auf das andere Bett. Sein Puls begann plötzlich zu rasen. Er presste sich die Hand aufs Herz, als wollte er es daran hindern, seine Rippenbögen zu durchschlagen und aus dem Apartment zu fliehen.
    Der Mann auf dem Bett war tot. Wo der Kopf hätte sein müssen, überschwemmte die Schwärze seines Bluts das Kissen. Ein leichtes, hauchdünnes Stoffstück lag über dem aufgerissenen Fleisch des Halses. Das Hemd des Mannes war mit Blut besudelt, und Blutspritzer bedeckten die Wand. Auch die Hände der Leiche waren blutig. Omar Jussufs Wange zuckte. Er zwinkerte, Tränen traten ihm in die Augen.
    Ist das mein Sohn?, dachte er. Seine Schultern bebten, er ging in die Knie und kroch zum Bett. Seine Hände wischten durch das Blut auf dem Fußboden neben dem Nachttisch. Er wimmerte und erbrach einen Schwall saurer Flüssigkeit, die ihm im Mund brannte. Er kann es nicht sein . Er wischte sich mit dem Handgelenk über die laufende Nase und die Lippen und starrte die Leiche an. Der Tote war klein und schmal, hatte eine schlanke Taille und zarte Hände. Er hat Alas Figur. Erkenne ich das Hemd wieder? Ist das Ala?
    Auf dem Nachttisch sah er einen Brief in seiner eigenen sorgfältigen Handschrift. Er lag aufgefaltet neben dem Wecker auf einem Buch mit Gedichten von Taha Mohammed Ali. Er griff nach dem Brief. Mein lieber Sohn, Deine Mutter sendet Dir ihre Liebe, und Deine Nichte Nadia fügt eine kurze Geschichte bei, die sie über eine mysteriöse Sache geschrieben hat, die in Nablus passiert ist. Dies sind meine Reisepläne: So Allah will, komme ich zur UN-Konferenz am Morgen des 11. Februar an und werde Dich dann sofort in Brooklyn besuchen. Wie wir ja schon oft und mit großer Vorfreude besprochen haben, wirst Du mich dann durch Little Palestine führen …
    Er zerknüllte die Blätter in seiner blutigen Faust und legte dem Leichnam seine zitternde Hand auf die Brust. Sein Puls pochte so heftig in seiner Handfläche, dass seine Hand sich zu heben und senken schien, als höben sich die Rippen des Toten immer noch unter Atemzügen. Das Blut drang ihm durch die Hose, ließ seine Knie kalt werden. Möge der König des Jüngsten Gerichts mir all meine Sünden vergeben, dachte er, und möge es ihm zuwider sein, dass dies hier mein Sohn ist. Während sich seine Handgelenke im kalten Blut versteiften, wusste er, dass ihm der Glaube fehlte, der diesen Toten zurück ins Leben hätte rufen können. Er war kein Gläubiger. Sein Gebet steigerte lediglich seine Verzweiflung und Einsamkeit. Rückwärts kroch er vom Bett weg und weinte.

Kapitel
2
    Der Schock versetzte Omar Jussuf in die Schreckstarre eines gehetzten Tiers, das nur noch auf das warten kann, was auf es zukommt. Schließlich fragte er sich, wie lange er schon auf dem Fußboden im Schlafzimmer saß. Er sah, dass sein Handgelenk sich wie bei einer im Wasser treibenden Leiche

Weitere Kostenlose Bücher