Der Attentaeter von Brooklyn
gut daran, sich davon nicht überraschen zu lassen.«
»Ich bin Polizist in New York City. Mich kann nichts überraschen.«
»Das Ende der Zivilisation und der gesamten Menschheit?«
»Das schon mal gar nicht.«
Hamsa führte Omar Jussuf auf das Knall-den-Freak-ab -Gelände. Von beiden Seiten erleuchtete Flutlicht die Ölfässer, das Gesträuch, die Betonklötze. Omar Jussuf flüsterte der Dunkelheit, die es ihm ermöglicht hatte, dem Killer zu entkommen, seinen Dank zu.
Ein Forensiker in einem blauen Regenmantel schlenderte Hamsa entgegen. Er gab dem Polizisten zwei transparente Plastikbeutel. In beiden lag ein bronzefarbenes Metallstück in Größe und Form eines durchgekauten Kaugummis.
»Eine steckte da neben der Mauer in dem toten Baumstamm«, sagte der Spezialist. »Die andere steckte unten im Ölfass, da drüben bei der Mustang -Motorhaube.«
Die Motorhaube , dachte Omar Jussuf. Er hat mich nur knapp verfehlt .
»Sie sind immer noch sehr leicht verformbar, was bedeutet, dass sie erst kürzlich abgeschossen worden sind. Ich meine, sie liegen hier bestimmt nicht schon seit Monaten herum, als sich vielleicht mal ein paar Revolverhelden eine Schießerei geliefert haben. Ich schätze also, dass sie aus der Waffe unseres Täters stammen. Könnte natürlich auch sein, dass jemand nur eine besonders harte Partie Paintball gespielt hat, was, Sergeant?«
Hamsa gab dem Forensiker die Tüten zurück und schluckte kräftig. Er sprach leise zu Omar Jussuf, sah ihn dabei aber nicht an. »Wo, sagten Sie, haben Sie Nisar gesehen?«
Am Eingang zum Playland zog Hamsa eine Taschenlampe aus der Hose. Als er die Tür aufzog, kreischten die Scharniere, was im ganzen Saal widerhallte.
»Ich bin in diese Richtung gegangen«, sagte Omar Jussuf und führte Hamsa an der Hand über den pfützenübersäten Betonboden. »Hier habe ich ihn zuerst pfeifen gehört. Als ich an diese Stelle kam, habe ich ihn gesehen.«
»Und die Schüsse fielen hinter Ihnen?«
»Von da drüben, glaube ich. Etwa da, wo ich hereingekommen bin.«
Hamsa ging langsam zu der Tür, aus der Nisar geflohen war. Den zersplitterten Türrahmen, in den die dritte Kugel eingeschlagen war, sah er sich genau an und ging dann hinaus.
Ohne die Taschenlampe kam sich Omar Jussuf schlagartig blind und verlassen vor. Er stieß mit der Schulter an den bröckelnden Putz des Pfeilers. Als er um ihn herum ging, knallte er mit dem Knie gegen einen alten Mülleimer aus Metall. Er fluchte und blieb stehen. Er meinte, im Mülleimer etwas rumoren gehört zu haben, als er dagegen stieß. Er hob den Fuß und trat leicht gegen den Eimer. Das Geräusch wiederholte sich, ein fester, dumpfer Aufprall, nicht das hohle Rascheln von Müll.
»Hamsa, hier drüben!«, rief er.
Als der Polizist die Taschenlampe in den Mülleimer richtete, zuckte er zurück und hielt sich am Pfeiler fest.
»Was ist es?«, sagte Omar Jussuf.
Hamsa blies die Backen auf und zwinkerte heftig.
Ich dachte, einen New Yorker Polizisten könnte nichts mehr überraschen , sagte Omar Jussuf zu sich selbst. Er nahm Hamsa die Taschenlampe ab und leuchtete damit in den Mülleimer. Er rang nach Atem und wandte die Augen ab, als könnten sie so irgendwie die wenigen Sekunden ausradieren, in denen sie diesem furchtbaren Anblick ausgesetzt gewesen waren.
Mit starren Augen, die den ganzen hoffnungslosen Verfall des Gebäudes, in dem er sich befand, zu registrieren schienen, lag auf dem Boden des Mülleimers der Kopf von Omar Jussufs ehemaligem Schüler Raschid.
Kapitel
22
Aus einer die ganze Nacht geöffneten koreanischen Bodega an der Fifth Avenue wankte ein Mann mit einer Dose Miller in der Hand und rutschte auf einer vereisten Stelle aus. Er machte ein paar komische rasche Schritte auf der Stelle, gewann die Balance zurück und reckte unter seiner roten Mackinaw-Wolljacke die Schultern, um sich wieder ein würdevolles Aussehen zu geben. Er trank einen tiefen Schluck Bier und schleuderte die Dose in den Laden zurück.
»Fick dich, du beschissenes Schlitzauge!«, brüllte er.
Omar Jussuf blieb ein paar Meter von dem Mann entfernt am Rand des Lichtfelds der Ladenfront auf dem eisglatten Gehweg stehen. Die lautstarke Obszönität in der stillen Straße schockierte ihn. Er sah auf seine Uhr und stellte fest, dass es zwei Uhr morgens war. In seiner Heimatstadt würde sich um diese Zeit niemand auf die Straße wagen – aus Angst vor israelischen Sonderkommandos. Und mit Sicherheit würde nachts niemand betrunken
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