Der Attentaeter von Brooklyn
sie. Aber ich entscheide, wer ich bin. Ich folge unseren Traditionen der Bekleidung und der Mäßigung, aber ich will nicht so leben, als sei dies nicht Brooklyn, sondern das Bekaatal.«
»Ich verstehe.«
»Sie haben meinen Vater nicht verstanden, und mich verstehen Sie auch nicht.« Ihre Stimme bebte vor emotionaler Kraft, die endlich aus ihr herausbrach. Sie redete so schnell wie eine, die nicht zu reden aufhören darf, weil sie befürchtet, dass ihre Worte sonst im Schluchzen untergehen. »Sie sind ein Flüchtling. In der arabischen Welt liefert jeder zumindest Lippenbekenntnisse zu Ihren Menschenrechten und sagt, dass er Verständnis für Ihre Sache aufbringt. Mein Vater und ich mussten aus dem Libanon fliehen, aber niemand bezeichnet uns als Flüchtlinge, und niemand respektiert uns. Wir mussten uns wie Kriminelle aus dem Libanon schleichen.« Rania deutete auf das Foto auf dem Weidenregal. »Meine Mutter starb, als mein Vater im Gefängnis saß. Er war davon überzeugt, dass kein anständiger Mann mich heiraten würde, weil er wegen der Schandtat des Drogenhandels, die gegen die Gesetze des Islam verstößt, eingesperrt worden war. Wir ließen das Grab meiner Mutter zurück und kamen nach Amerika. Mein Vater dachte, wir könnten von vorne anfangen. Er eröffnete ein neues Geschäft und versuchte, einen passenden Ehemann für mich zu finden.«
»Möge Allah Ihrer Mutter gnädig sein«, murmelte Omar Jussuf.
»Mögen Sie lange leben.« Rania zupfte am Saum ihres schwarzen Kittels herum. »Vielleicht sind Hass und Gewalt ja ein Bestandteil der Existenz eines Arabers. Vielleicht kann man dem nicht entkommen. Vielleicht besteht der Fehler darin, es zu versuchen. Jedenfalls haben sie mich erwischt.«
»Sie sind noch jung, meine Tochter. Geben Sie die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht auf.«
»Ich habe mich selbst betrogen, als ich mit Nisar in die Broadway-Theater gegangen bin, in die Kinos, in teure italienische Restaurants. Die ganze Zeit steckte der Nahe Osten in mir wie der Krebs, der meine Mutter umgebracht hat.« Rania wischte sich eine Träne aus dem Auge und starrte die feuchte Stelle auf ihrem Handrücken an. »Ich habe geträumt, dass Nisar zurückgekommen ist. Aber er ist zu Ihnen gegangen, nicht zu mir.« Sie redete gereizt wie ein verzogenes Kind. Ihre Schultern senkten sich, als wäre alle Wut aus ihr herausgeströmt und nichts als eine leblose Traurigkeit geblieben. »Für mich wird es so sein, als ob der Körper in seiner Wohnung tatsächlich Nisars Leiche war.«
»Ich kann nicht glauben, dass Sie ihn sich lieber als Leiche statt als lebendigen Menschen vorstellen«, sagte Omar Jussuf. »Sie haben mir doch selbst erzählt, dass Sie das Glück in der Gegenwart finden wollen und nicht im Jenseits.«
»Die Erinnerung an ihn wird mich stets begleiten.«
»Glauben Sie, dass er seinen Freund ermordet hat?«
»Das würde ihn nicht zum schlechtesten Mann machen, dem ich je begegnet bin. Ich stamme aus dem Libanon.«
Omar Jussuf ließ sie im Schimmer der Küchenbeleuchtung sitzen. Er ging durchs Café und zog die Tür hinter sich zu. Er ging ein paar Schritte auf seinem geschwollenen Fußgelenk, schob sich durch den Eingang neben der Boutique und stieg die Treppe zu Alas Wohnung empor.
Das handgeschriebene Schild mit den Worten Das Schloss der Assassinen war entfernt worden, aber der Klebestreifen, mit dem es an der Tür befestigt gewesen war, hing immer noch da wie der Rahmen eines Bildes, das Diebe herausgeschnitten hatten.
Als er die Tür öffnete, war das Gesicht seines Sohnes grau und müde. Er sprach kaum, als er Omar Jussuf das Bett zeigte. Die Tür zum Nebenzimmer, in dem die Leiche gelegen hatte, war geschlossen. Omar Jussuf fragte sich, ob die Polizei ihre Arbeit darin beendet hatte.
»Mein Sohn«, sagte er. »Ich habe heute Nacht Nisar gesehen. Er lebt.«
Ala setzte sich auf die Bettkante. Er strich mit der Handfläche über die billige Decke und versuchte zu sprechen, brachte aber nur einen gestotterten Seufzer heraus.
»Ich habe ihn in Coney Island gesehen.«
»Ihn gesehen?«, krächzte Ala.
Omar Jussuf wandte sich von seinem Jungen ab. »Ich habe auch Raschids Kopf gesehen. In dieser Wohnung haben wir seinen Körper gefunden, nicht Nisars. Es tut mir leid, dass ich so direkt bin, mein Sohn.«
Omar Jussuf hörte, dass sein Sohn den Namen seines toten Mitbewohners flüsterte. Das Geräusch zog wie eine kalte Woge durch die Luft, ließ Omar Jussufs Kehle und Lunge erstarren,
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