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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Dachabhängung war entfernt und das ursprüngliche Scheddach der Markthalle sichtbar. Nur die Dimensionen waren die gleichen geblieben, früher fanden hier dreitausend Gäste an fein gedeckten Tisch Platz, und heute drängten sich genauso viele Menschen in den Seitennischen. Der Raum war von Gemurmel erfüllt, die Luft zum Schneiden.
    Am Kopfende der Halle standen mehrere Schreibtische nebeneinander, vor denen eine Schlange von etwa hundert Personen wartete. Hinter den Pulten saßen vier SS-Offiziere. Daut ging an den Wartenden vorbei und steuerte direkt den Ranghöchsten an.
    »Leiten Sie diese Aktion, Hauptsturmführer?«
    Der Offizier schaute von einer Karteikarte auf, in die er die Daten eines vor ihm stehenden, etwa fünfzigjährigen Mannes eintrug.
    »Wer will das wissen?«
    Daut nahm Haltung an. »Wachtmeister Daut. Heil Hitler, Hauptsturmführer.«
    »Stehen Sie bequem, Wachtmeister. Was kann ich für Sie tun?«
    »Man hat mich hergeschickt, um festzustellen, ob sich ein gewisser Kurt May hier aufhält.«
    Der SS-Mann hakte etwas auf der Karte ab und steckte sie in einen hölzernen Karteikasten. Nachdem er den vor ihm Stehenden mit einer arroganten Handbewegung weggeschickt hatte, sagte er zu dem neben ihm sitzenden Untersturmführer: »Übernimm du mal, ich muss mich um den Wachtmeister kümmern.«
    »Alles klar, Michalke.«
    Der Hauptsturmführer wandte sich erneut Daut zu.
    »Also, Wachtmeister, was ist mit diesem, wie hieß er noch?«
    »May. Kurt May.«
    Daut spürte die Skepsis des Offiziers. Das Hierarchiegefälle zwischen ihnen war zu groß, er musste erst eine persönliche Beziehung herstellen.
    »Michalke, habe ich das richtig gehört, Hauptsturmführer? Vielleicht kennen Sie ja meinen Onkel, Erwin Daut. Ist bei der Leibstandarte, und ich meine, mich zu erinnern, dass er von einem Kameraden Michalke erzählt hat.«
    Der SS-Mann hörte aufmerksam zu.
    »Daut, Daut ... wie lange ist Ihr Onkel denn schon bei der Truppe?«
    »Von Anfang an. Er gehörte schon zur Stabswache.«
    »Natürlich, habe von ihm gehört, muss aber länger her sein. Bin ja auch schon fast zwei Jahre an der Heimatfront eingesetzt.«
    Es hatte geklappt, und Daut bat in Gedanken seinen Onkel Erwin um Verzeihung, der nie etwas mit dem Militär und schon gar nicht mit der NSDAP am Hut hatte und dem er jetzt eine Mitgliedschaft im ältesten, Hitler direkt unterstellten SS-Verband angedichtet hatte. Natürlich konnte Michalke seine Geschichte überprüfen. Aber nicht hier und jetzt, und in ein paar Tagen hatte er hoffentlich seinen Namen vergessen. Jetzt kam es darauf an, das frisch gewonnene Vertrauen ausnutzen, also fragte Daut:
    »Worum geht es hier eigentlich? Was sind das für Leute hier?«
    »Juden, allesamt wie sie da stehen, sitzen und liegen.«
    Daut blickte sich im Saal um. »Sind ja nicht gerade wenige. Ich wusste gar nicht, dass es in Berlin überhaupt noch so viele von denen gibt.«
    »Viel zu viele sind es noch. Aber jetzt machen wir reinen Tisch. In ein paar Tagen ist Berlin judenfrei.«
    »Sie werden also weggebracht?«
    »Keine Ahnung, was mit ihnen passiert. Wir haben nur den Auftrag, ihre Personalien zu erfassen und eventuell vorhandenes Vermögen zu verzeichnen.«
    Daut merkte, dass Michalke das Interesse an ihm verlor. Er musste jetzt zum Punkt kommen.
    »Haben Sie denn diesen Kurt May bereits erfasst?«
    »Was wollen Sie von dem Mann?«
    »So genau weiß ich das auch nicht, Hauptsturmführer. Ich glaube, man sucht ihn als Zeugen in einer Mordsache. Wenn ich ihn auftreibe, soll ich ihn ins Präsidium am Alex bringen.«
    Michalke klappte den Karteikasten auf und rief den anderen SS-Männern hinter den Tischen zu: »Alle mal herhören. Wir suchen einen gewissen May, Kurt. Schaut mal, ob ihr den schon habt.«
    Nachdem er seine Karten durchgeblättert hatte, blickte er die anderen an. Alle schüttelten mit dem Kopf. Missmutig stieg er auf den Stuhl und brüllte: »Herhören, Männer!« Augenblicklich verebbte das Gemurmel im Saal, und es war still wie in einer Kirche beim Hochamt.
    »Gibt es unter euch einen Kurt May?«
    Er wartete zwei Sekunden, stieg vom Stuhl und klappte seinen Karteikasten mit lautem Krachen zu.
    »Ihren May haben wir hier nicht, Wachtmeister. Ist das denn auch ein Volljude? Nur mit denen müssen wir uns hier nämlich abgeben.«
    Daut nickte. »Ich glaube schon. Wenn ich das richtig verstanden habe, lebt er in Rassenschande.«
    »Na, dann ist ja alles klar.« Hauptsturmführer Michalke verzog das

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