Der Aufbewarier (German Edition)
Allgemeinen und die Katastrophe von Stalingrad im Besonderen anzuhören.
»Ich geh dann mal ins Bett, Frau Engelmann. Muss morgen früh raus.«
Er stand auf und verließ das Zimmer, während sich die Witwe schweigend ein weiteres Glas eingoss.
Die Luft in Dauts Zimmer war abgestanden und stickig. Er öffnete das winzige Fenster, nahm eine Schallplatte aus dem Schrank und legte sie auf das Grammofon.
»Wieder einmal zu spät, Luise«, flüsterte er.
Aus dem Lautsprecher tönte leicht blechern und doch markant und unverkennbar die Stimme von Zarah Leander. »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen ...«
Luise hatte ihm die Platte zu Weihnachten geschenkt. An den Festtagen hatte er natürlich keinen Urlaub bekommen, aber immerhin konnte er danach für vier Tage ins Münsterland reisen.
»Wie spielen das Lied jeden Abend um zehn. Du in Berlin und ich hier. Einverstanden?«
Er hatte nur stumm genickt, obwohl es gar nicht funktionieren konnte bei seinen ständigen Nachtschichten. Aber darauf kam es nicht an. Luise wollte ihn noch immer und trotz allem, was passiert war. Nichts anderes war wichtig. Daut setzte sich aufs Bett und lauschte der Musik fast andächtig.
»Und darum wird einmal ein Wunder gescheh’n, und ich weiß, dass wir uns wiederseh’n!«
Als das Lied beendet war, schob er die Platte vorsichtig in die Hülle zurück und flüsterte dabei:
»Morgen bin ich pünktlich, Luise. Aber was sollte ich heute machen, wenn Rösen mich nun einmal braucht. Und es ist ja auch besser, als mit Gisch auf Streife zu gehen.«
Er drehte sich um und schlug die Bettdecke zurück.
»Gute Nacht, Luise.«
Sonntag, 28. Februar 1943
Dreizehn
Es war um halb sechs Uhr am Morgen, als Daut aus einem tiefen Schlaf geweckt wurde. Er hatte, nachdem er zu Bett gegangen war, lange wach gelegen und war jetzt wie gerädert. Deshalb brauchte er einige Sekunden, bis er registrierte, dass seine Vermieterin gegen die Tür klopfte.
»Axel, wachen Sie auf. Draußen steht der Hauptwachtmeister Gisch. Er will Sie abholen.«
Was sollte das jetzt wieder. Die Absprache war doch klar. Daut war für die Mordermittlungen mit Rösen freigestellt, so jedenfalls hatte der ihm das gesagt. Reine Schikane vermutlich.
Daut quälte sich aus dem Bett und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Die Engelmann stand im Morgenrock und mit wild vom Kopf abstehenden Haaren auf dem Flur. Man sah ihr den Kater an, den der Kräuterschnaps hinterlassen hatte.
»Guten Morgen«, brummte Daut und drängte sich an ihr vorbei in Richtung Bad.
»Sagen Sie dem Gisch, dass ich in zehn Minuten unten bin.«
Ärger auf dem Revier war das Letzte, was er gebrauchen konnte.
Eine Viertelstunde später trat Daut in einen trüben, nasskalten Morgen.
»Das wurde aber auch Zeit«, sagte Gisch und trat dabei von einem Bein auf das andere. »So langsam bekomme ich Eisfüße.«
Die beiden Uniformierten bogen in die Gotenstraße ab und gingen Richtung Bahnhof Kolonnenstraße.
»Tut mir leid, Willi, aber warum holst du mich überhaupt ab? Ich bin vom Revierdienst freigestellt und soll für die Kripo die Laufarbeit im Fall der aufgefundenen Leichenteile übernehmen.«
»Klar sollst du den Kriminalen die Drecksarbeit abnehmen, aber nach Feierabend. Jedenfalls hat mir das unser Chef so erklärt. Kriminaldirektor Rudat habe ihm da klare Anweisungen gegeben. Mit dem kannst du es wohl nicht so gut, oder?«
Natürlich Rudat, dachte Daut. Der hatte ihn immer noch auf dem Kieker. Wäre es nach dem Kriminaldirektor gegangen, hätte man Daut nach seinem Einspruch gegen die Versetzung zu einer Einsatzgruppe im Osten aus dem Polizeidienst entfernt, wenn nicht sogar ins Gefängnis gesteckt. Und Luise gleich mit, gab ja genug Gerüchte, dass sie zu der kommunistischen Zelle um diesen Harro Schulze-Boysen gehörte.
Vor Wut beschleunigte Daut seine Schritte, sodass Willi Gisch mit seinem verkürzten rechten Bein kaum Schritt halten konnte. Je schneller sie gingen, desto auffälliger humpelte er. Am Anfang hatte Daut sich manchmal darüber lustig gemacht und manchen Lacher geerntet, wenn er statt förmlicher Vorstellung sagte: »Hier kommen der Einarmige und der Lahme.«
Gisch war stinkwütend geworden und hatte sich solche Späße ein für alle Mal verboten. Er litt wie ein Hund, weil er wegen seiner Behinderung nicht als Soldat an die Front durfte.
Sie hatten inzwischen den Kaiser-Wilhelm-Platz erreicht, und Daut verlangsamte seine Schritte, damit Gisch aufschließen
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