Der Aufbewarier (German Edition)
konnte. Es half alles nichts, er musste auf den Streifengängen mit ihm klarkommen.
Sie waren gerade gemütlichen Schrittes in die Akazienstraße eingebogen, als ein höchstens dreißig Jahre alter Mann aus einer Toreinfahrt trat. Er sah sich gehetzt um. Als er die Polizisten erblickte, überquerte er eilig die Straße.
»Stehen bleiben, Bürschchen!«, brüllte Gisch.
Junge Männer fielen auf, und Gisch kontrollierte in solchen Fällen immer die Papiere. Er sah in jedem einen potenziellen Deserteur und Vaterlandsverräter.
Der Mann blieb stehen, wandte ihnen aber weiterhin den Rücken zu. Als Daut und Gisch ihn erreicht hatten, drehte er sich langsam um und hielt sich die rechte Hand vor die Brust, als wäre sie verletzt. Oder wollte er etwas aus der Innentasche des abgewetzten, braunen Mantels holen? Eine Waffe? Gisch sah die Gefahr auch und rief atemlos:
»Hände hoch!«
Der Mann hob langsam die Arme. Gisch lachte auf.
»Na, sieh mal einer an, ein Sternenträger.«
Gisch nahm einen Bleistift aus seiner Tasche und schob ihn unter den Judenstern auf der linken Brust des Mannes.
»Und dann auch noch locker angenäht. Wolltest ihn wohl gerade abreißen, was?«
Daut wollte die Situation entspannen und sagte ruhig und sachlich: »Die Papiere!«
Der Mann, dessen Augen panisch von links nach rechts schauten, als hoffe er, jemanden zu entdecken, der ihm in dieser ausweglosen Situation zu Hilfe käme, holte ein drei Mal gefaltetes Papier aus der Tasche und reichte es Daut, der laut vorlas. »Bruno Rosenberger, wohnhaft ...«
Gisch unterbrach ihn hämisch: »Bruno Israel Rosenberg, so viel Zeit muss sein.«
Er griff den Mann unter den Armen. »Du bist festgenommen, Freundchen.«
Daut winkte ab. »Ach komm, Willi. Der Mann hat Papiere, scheint alles in Ordnung zu sein.«
Gisch versuchte, sich so groß zu machen, wie er konnte, und blaffte zurück: »Was heißt hier in Ordnung. Hast du den gestrigen Tagesbefehl vergessen? Alle Juden sind festzunehmen. Ausnahmslos. Und hier haben wir es mit einem besonders schönen Exemplar der Söhne Israels zu tun.«
Er riss Daut den Ausweis aus der Hand, stopfte ihn in die Manteltasche, nestelte die Handschellen vom Koppel und legte sie dem Mann an.
»Warum zitterst du denn so, Itzig? Angst brauchst du nicht zu haben. Solltest lieber dankbar sein, schließlich spendieren wir dir eine kostenlose Zugfahrt in den Osten.«
Diesmal war es Daut, der langsam ging und hinter den beiden zurückblieb.
Vierzehn
»Das ist schon der Dritte heute Morgen. Anscheinend trauen sie sich alle wieder auf die Straße.«
Revierhauptmann von Grätz nahm dem jungen Mann die Handschellen ab und führte ihn in den Zellentrakt. In der Tür drehte er sich noch einmal um.
»Ach übrigens, Daut, da hat jemand für Sie angerufen. Sie sollen sich so schnell wie möglich im Präsidium am Alex melden.«
Daut schnaubte vor Wut in Richtung seines Partners Willi Gisch: »Sag ich doch, dass ich freigestellt bin.«
Er drehte sich schwungvoll um und verließ das Revier. Die Tür ließ er mit einem lauten Krachen ins Schloss fallen.
In der U-Bahn war es voll und stickig wie immer. Als Kriminalkommissar hatte er zu jeder Zeit auf einen fahrbaren Untersatz zurückgreifen können, als Wachtmeister stand einem selbstverständlich kein Fahrzeug zu. Immerhin war er jetzt mehr an der frischen Luft und hatte dank der täglichen Streifengänge seinen Bierbauch abgebaut. So schlank war er seit seiner Jugend nicht mehr gewesen, Luise hatte ihn bei seinem Weihnachtsbesuch sogar damit geneckt. »Dir fehlt wohl meine gute Küche«, hatte sie lachend gesagt, und er hatte genickt, obwohl sie beide wussten, dass sie keine gute Köchin war.
Eingeklemmt zwischen zwei älteren Damen, die wie die meisten Frauen auch noch ältlich gekleidet waren, als wäre der Alltag nicht so schon trist genug, brütete Daut vor sich hin. In der letzten Zeit haderte er häufiger mit seinem Schicksal. Hätte er die Versetzung zu einer Einsatzgruppe im Osten nicht einfach akzeptieren sollen? Wahrscheinlich stimmten die Schauermärchen von Massenerschießungen jüdischer Zivilisten durch Polizisten in SS-Uniform ja gar nicht, die Luise bei ihren Freunden, dem Ehepaar Neeb, gehört hatte. Bei denen gingen doch die Kommunisten ein und aus. Nichts als Propaganda das Ganze. Außerdem wäre er nach ein paar Monaten zurück nach Hause gekommen, hätte eine hübsche Sonderzahlung kassiert und säße jetzt in einem warmen Büro am Alex.
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