Der Aufbewarier (German Edition)
arbeiten, und hier bist du in Sicherheit. Niemand weiß, wo du bist.«
»Was spielt das für eine Rolle, dann holen sie mich eben, wenn ich wieder gesund bin und zur Arbeit gehe.«
Carla legte die Watte auf den Tisch und schraubte das Jodfläschchen zu.
»Ach, Kurt, du kannst nicht mehr in die Fabrik. Wir haben gestern darüber gesprochen, dass wir eine andere Lösung finden müssen.«
» Wir haben überhaupt nicht darüber gesprochen, sondern du hast mit diesem Blinden geredet, als wäre ich ein kleines Kind, um das man sich kümmern muss.«
Charly mischte sich ein und versuchte, die Stimmung aufzuheitern.
»Genau das bist du ja auch, großer Bruder.«
Weidt kam herein, geführt von einer jungen Frau. Er war sichtlich erregt.
»Ihr glaubt es nicht, sie haben fast alle Männer, die in der Rosenstraße inhaftiert waren, freigelassen. Ein paar fehlen noch, aber die kommen angeblich auch raus. Nur zwanzig Männer sind in den Osten gebracht worden.«
Kurt stöhnte auf.
»Wir können unserem Schicksal eben nicht entgehen.«
Weidt drehte sich ruckartig zu ihm um.
»Was heißt hier Schicksal. Sie sind ein junger Mann, Sie leben, und Sie haben Menschen um sich herum, die einiges riskieren, um Ihnen zu helfen. Hören Sie endlich mit der Rumheulerei auf.«
Kurt war so überrascht, dass er nichts erwiderte. Carla war während Weidts Wutausbruch zusammengezuckt. Sie hatte Angst um ihren Mann. Er war dermaßen niedergeschlagen, dass sie befürchtete, er könne sich etwas antun. Es war ein offenes Geheimnis, dass sich in den letzten Monaten Hunderte von Juden das Leben genommen hatten. Sie durften Kurt nicht in die Enge treiben. Am liebsten hätte sie jetzt von etwas anderem gesprochen, aber Weidt wandte sich an sie.
»Haben Sie gestern noch etwas wegen der Papiere erreicht, Carla?«
»Ich weiß nicht. Heute Abend erfahre ich mehr. Ich hoffe aber ...«
Charlotte hob neugierig den Kopf.
»Welche Papiere? Für Kurt, damit er sich nicht verstecken muss?«
Carla hatte ein schlechtes Gewissen, weil Charly schon so lange in Weidts Versteck ausharrte, ohne dass jemand versucht hatte, ihre Situation zu verbessern. Ehe sie antwortete, fragte Charly:
»Wo willst du die Papiere herbekommen.«
Carla entschied sich für eine sachliche Antwort.
»Es ist für uns alle besser, wenn du nicht zu viel weißt.«
»Ist ja auch egal. Aber könnte der Mensch, der Papiere fälschen oder echte Papiere besorgen kann ... könnte dieser freundliche Mensch das nicht auch für mich tun?«
Otto Weidt spürte Carlas Gewissensbisse und mischte sich ein.
»Du bist hier im Moment in Sicherheit, Charlotte. Erst versuchen wir, Papiere für deinen Bruder zu organisieren. Wenn das geklappt hat, bist du an der Reihe. Und nach dir noch viele andere, hoffe ich.«
Einundvierzig
Auf dem Weg vom Auto zum OSRAM-Verwaltungsgebäude war Rösen immer noch beleidigt, weil Daut seiner Marschroute nicht folgen wollte.
»Das hier überlasse ich jetzt erst mal dir, Axel. Ist deine Idee, nicht meine. Auch wenn sie sich logisch anhört, bin ich immer noch der Meinung, wir hätten besser im warmen Büro sitzen bleiben sollen und auf den Anruf der Techniker warten.«
Daut sagte nichts.
August Quint teilte sich das Büro mit drei anderen Angestellten. Kaum hatten sie den Raum betreten, wandte sich Daut an Quints Kollegen.
»Sie haben jetzt Pause.«
Als sie sitzen blieben und keine Anstalten machten, drehte er sich zu Rösen um.
»Hauptsturmführer!«
Rösen nickte nur und zeigte mit dem Finger zur Tür.
Die Nennung von Rösens SS-Dienstgrad zeigte bei Quint allerdings keine Wirkung. Vermutlich wusste er, dass jeder Polizist in der SS mit einem seinem Polizeirang entsprechenden Dienstrang geführt wurde. Daut zog sich einen Stuhl heran, setzte sich verkehrt herum darauf, verschränkte die Arme auf der Lehne und sah Quint an.
»Wie geht es Ihrer Tochter? Hat sie sich schon an die Ehe gewöhnt?«
»Was soll diese Schmierenkomödie? Hat es Ihnen noch nicht gereicht, die Hochzeitsfeier zu stören? Sind Sie immer noch auf der Suche nach dem Mörder von diesem Judenflittchen? Keine Glanzleistung, meine Herren, wahrlich keine Glanzleistung.«
Daut rührte sich nicht, sondern ließ seinen Blick weiterhin starr auf den Buchhalter gerichtet.
»Nun, Herr Quint, ich denke, dass wir unseren Vorgesetzten noch heute die Festnahme des Mörders melden werden.«
Jegliche Farbe verschwand aus Quints Gesicht, was Daut zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln
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