Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt
ihre Lippen die richtigen Worte formten, konnten ihre Gedanken schweifen. Sie würde tun, was er hatte tun wollen, was er ihr - und ihr allein - anvertraut hatte. Sie war entschlossen, die Aufgabe, die er übernommen hatte, für ihn auszuführen, und er würde in der Ewigkeit ruhen, zufrieden mit ihr. Und dann... Auf einmal wehte eine mächtige, von sommerlichen Düften schwere Brise durch ihr Bewußtsein, die ihr sagte, daß sie jung und schön war und wohlhabend obendrein und daß Jungen wie der Sohn des Tischlers sie mit Interesse und Vergnügen anschauten. Auch andere junge Männer, die nicht solche Grünschnäbel waren...
Endlich stand sie auf, schüttelte ihre zerknitterten Röcke aus und schritt rasch aus dem Seitenschiff in das Längsschiff der Kirche, wo sie zwischen den Doppelreihen der runden Steinsäulen des Mittelschiffes Ivo Corbiere begegnete. Er hatte reglos in einem halbdunklen Winkel gewartet und sich sogar enthalten, durch das Mittelschiff nach vorn zu gehen, solange sie Totenwache hielt. Der Entschluß, mit dem sie ihre Andacht plötzlich beendet hatte und der sie mit eiligen Schritten dem Ausgang zustreben ließ, trug sie beinahe in seine Arme. Sie keuchte vor Schreck, als sie fast mit ihm zusammenstieß, und er streckte hilfsbereit die Hände aus, um sie zu stützen, und hatte es nicht eilig, sie loszulassen. Im Halbdunkel des Kirchenschiffes mit seinen schmalen Rundbogenfenstern schien sich sein blonder Kopf zu Bronze zu verdunkeln, und sein Gesicht, fürsorglich über sie gebeugt, war vom Sommer so vergoldet, daß es beinahe die gleiche feine Brünierung zeigte.
»Habe ich Euch erschreckt? Verzeiht! Ich wollte Euch nicht stören.
Am Torhaus sagte man mir, daß der Tischlermeister gekommen und wieder gegangen wäre und daß Ihr Euch hier aufhieltet. Ich hoffte, ich könnte mit Euch sprechen, wenn ich geduldig wartete. Daß ich Euch meine Aufmerksamkeit bisher nicht aufgedrängt habe«, fuhr er in ernstem Ton fort, »bedeutet keineswegs, ich hätte nicht an Euch gedacht.«
Sie hob den Blick mit einer faszinierten Bewunderung, die sie sich bei vollem Tageslicht niemals erlaubt hätte, zu seinem Gesicht, und vergaß ganz und gar, sich von ihm loszureißen. Seine Hände glitten von ihren Schultern abwärts, über die Unterarme, machten bei ihren Fingern halt, und die Berührung wurde in beiderseitigem Einvernehmen zu einem Händedruck.
»Beinahe zwei Tage sind vergangen, seit ich mit Euch gesprochen habe!« sagte er. »Eine Ewigkeit, ich habe mit dem Schicksal gehadert, aber Ihr wart unter Freunden, und ich hatte kein Recht...
Doch nun, da ich Euch getroffen habe, schenkt mir eine Stunde!
Kommt auf einen Spaziergang mit in die Gärten. Ich bezweifle, daß Ihr sie bereits gesehen habt.«
Zusammen gingen sie hinaus in den Sonnenschein, durch den Kreuzgang und hinaus in die Geschäftigkeit des großen Hofes. Es war beinahe Zeit für die Vesper, die ruhigsten Stunden des Nachmittags waren vergangen. Die Klosterbrüder sammelten sich allmählich, von ihren verschiedenen Arbeitsplätzen zurückgek ehrt, Gäste kamen vom Jahrmarktsplatz und vom Fluß. Es war erfreulich, am Arm eines Edelmannes über diesen belebten Hof zu gehen, eines Edelmannes obendrein, der über bescheidene Rittergüter in Cheshire und Shropshire gebot. Und die Tochter einer Familie von Handwerkern und Kaufleuten fühlte sich sehr geehrt in seiner Gesellschaft. Sie nahmen auf einer steinernen Bank im Blumengarten Platz, an der sonnigen Seite der beschnittenen Hecke, durch die willkommene Düfte aus Bruder Cadfaels Kräutergarten mit der leichten Brise betäubend zu ihnen wehten.
»Ihr werdet schwierige und mühevolle Dispositionen zu treffen haben«, sagte Corbiere in nachdenklichem Ernst. »Wenn es etwas gibt, was ich für Euch arrangieren kann, laßt es mich wissen. Es wird mir ein Vergnügen sein, Euch zu dienen. Ihr wollt Euren Onkel zum Begräbnis nach Bristol zurückbringen?«
»Das wäre sein Wunsch gewesen. Am Morgen werde ich eine Seelenmesse für ihn lesen lassen, und dann werden wir ihn für die Heimreise zu seiner Barke tragen. Die Klosterbrüder waren die Freundlichkeit und Güte selbst.«
»Und Ihr? Werdet Ihr auch mit der Barke heimfahren?«
Sie zögerte, aber warum sollte sie ihm nicht anvertrauen, was er ohnedies erfahren würde? Er war aufmerksam, freundlich und verständnisvoll. »Nein, das wäre - unklug. Solange mein Onkel lebte, war es gut und schön, aber ohne ihn würde es nicht gehen. Einer unserer
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