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Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt

Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt

Titel: Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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erschien ihm keineswegs seltsam, daß das Mädchen gestohlene Handschuhe ersetzen wollte, wenn sich eine Gelegenheit bot. Vielmehr verblüffte ihn Emmas Verhalten, nachdem sie plötzlich mit der Notwendigkeit konfrontiert worden war, von einem einfachen Diebstahl zu sprechen, obwohl etwas ganz anderes dahintersteckte. Sie wollte einen Artikel eingebüßt haben, welcher der Jahreszeit so unangemessen war, daß sie sich genötigt gefühlt hatte, ihn mit der Bemerkung zu erklären, sie hätte ihn unterwegs in Gloucester gekauft. Warum Handschuhe, wenn sie nicht aus einem anderen Grund bereits Handschuhe im Sinn gehabt hatte? Handschuhe? Oder Handschuhmacher?
    In der Querschiffkapelle der Klosterkirche setzten Martin Bellecote und sein Sohn den schweren Sarg auf zwei drapierte Schrägen und betteten den Leichnam des Thomas von Bristol hinein. Emma trat hinzu und blickte lange ohne Tränen oder Worte in ihres Onkels lebloses Gesicht. Es würde nicht schmerzlich sein, ihn so in Erinnerung zu behalten, würdevoll und im Tode entrückt, die Knochen seiner Wangen, des Kiefers und der Stirn stärker hervortretend als im Leben, das einst blühende Fleisch wächsern und eingesunken. Nun, im letzten Augenblick, wollte sie ihm etwas geben, was er mit sich ins Grab nehmen könnte. Und sie sah ein, daß sie unter den Schicksalsschlägen der letzten zwei Tage nicht imstande gewesen war, klar genug zu denken und sich auf die Trennung vorzubereiten.
    Nicht die Tatsache des Todes, sondern die Notwendigkeit einer zeremoniellen Zärtlichkeit, losgelöst von den kirchlichen Riten, erschien ihr auf einmal bedeutsam.
    »Soll ich ihn bedecken?« fragte Martin Bellecote.
    Sogar seine sanfte Stimme erschreckte Emma. Sie blickte beinahe verwundert umher. Der Mann, groß, stattlich und bedächtig, wartete ohne Ungeduld auf ihre Antwort. Der Junge, ernst und still, betrachtete sie mit großen haselnußbraunen Augen. Obwohl sie nur vier Jahre älter war als er, überlegte sie, ob ein so junger Bursche wie dieser zu solch einem Dienst zugelassen werden sollte. Doch dann stellte sie fest, daß seine Aufmerksamkeit mehr ihr als dem Toten galt und daß seine frische jugendliche Lebhaftigkeit nach Licht und Sonne strebte, während er die Schatten nur an der benachbarten Helligkeit erkannte. Das war recht und gut.
    »Nein, wartet einen Augenblick«, sagte sie. »Ich werde zurückkommen!«
    Rasch ging sie hinaus ins Sonnenlicht und hielt Ausschau nach dem Pfad, der in die Gärten führte. Die grünen Umrisse einer Hecke und die Baumkronen dahinter zogen sie an, und sie gelangte auf einen Fußweg, neben dem Blumen gepflanzt waren. Die Klosterbrüder waren großartige Gärtner und schätzten die Früchte des Feldes und der Gemüsegärten aus gutem Grund, aber sie hatten auch Zeit für Rosen. Sie wählte einen Strauch, der Blüten trug, wie sie kein anderer zeigte, blaßgelbe Blütenblätter, die an den Rändern in Rosa übergingen, und pflückte nur eine Blume. Keine Knospe, nicht einmal eine eben geöffnete Blüte, sondern eine, die sich voll aufgetan hatte und knapp jenseits ihrer schönsten Entfaltung stand, aber noch makellos war. Diese trug sie eilig in die Kirche. Er war nicht mehr jung gewesen, hatte den Zenit seines Lebens längst überschritten und sich im Herbst seines Daseins befunden, und dies war die richtige Rose für ihn.
    Bruder Cadfael hatte sie weggehen sehen, beobachtete nun ihre Rückkunft und folgte ihr in die Kapelle, hielt sich aber abseits in den Schatten. Sie legte ihre Blume in den Sarg, neben das Herz des Toten.
    »Deckt ihn jetzt zu«, bat sie und trat zurück, um Martin Bellecote und seinem Sohn Platz zu machen. Als es getan war, dankte sie ihnen, und die beiden zogen sich zurück und ließen sie in der Seitenkapelle allein, wie es offensichtlich ihrem Wunsch entsprach.
    Und Bruder Cadfael tat es ihnen gleich.
    Emma kniete noch lange auf den Steinplatten des Querschiffes, ohne der Unbequemlichkeit zu achten, den Blick auf den geschlossenen Sarg gerichtet, der vor dem Altar stand. In der Kirche einer großen Abtei zu liegen, eine Totenmesse zu erhalten und dann zum Begräbnis in die Heimat gebracht zu werden, das war sicherlich ein Teil der Verklärung, und Meister Thomas hätte Gefallen daran gefunden. Alles sollte geschehen, wie er es geschätzt haben würde.
    Alles! Er würde zufrieden mit ihr sein.
    Sie kannte ihre Pflicht, sprach Gebete für ihn, viele Gebete, denn der Wortlaut war glücklicherweise festgelegt. Und während

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