Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt
zu beginnen. Im matten Schein der Altarkerzen nahmen sie ihre Plätze im Mönchschor ein, und der dritte Tag des St. Peters-Jahrmarkts hatte begonnen. Der dritte und letzte.
Zu Matutin und Morgenoffizium erhob sich Cadfael stets ohne Schläfrigkeit und Unwillen, vielmehr um einiges wacher als zu jeder anderen Zeit, denn in der Absonderung der hier versammelten Gemeinde schienen sich seine Sinne bis zu einem Grade zu schärfen, der ihnen bei Tageslicht unmöglich war. Die nur von schwachem Kerzenschimmer erhellte Dunkelheit, die Schwere der ringsum lastenden Schatten, die gedämpften Stimmen, das Fehlen von Kirchenbesuchern - alles trug zu dem Gefühl bei, an einem abgeschlossenen Zufluchtsort zu sein, wo alle, die ihn mit ihm teilten, von seinem Fleisch und Blut und Geist waren, verantwortlich für ihn wie er für sie. Selbst jene Brüder schloß er darin ein, für die er in den Aktivitäten und Mühseligkeiten des Tages keine Liebe verspüren und auch nicht heucheln konnte. Die Bürde seiner Gelübde wurde auch sein Vorrecht, und die erste Andacht der Nacht gab ihm Kraft für den nächsten Tag.
So hatten die Schatten für ihn klare Ränder, die Formen von Säulen und Kapitell und Bogen vibrierten wie Musik, Sicht und Gehör nahmen mit erhöhter Wahrnehmungsfähigkeit alles ringsum auf, Einzelheiten besaßen eine bebende Eindringlichkeit. Bruder Marks Profil zeichnete sich messerscharf vor dem Kerzenschein ab. Eine Note, die von einem schläfrigen älteren Mitbruder nicht getroffen wurde, stach wie eine Biene. Und der helle Fleck unter dem Schrägen, der Meister Thomas' Sarg trug, war wie ein Loch in der Realität, etwas, was nicht da sein konnte. Dennoch blieb er, wo er war. Am Beginn des Morgenoffiziums wurde Cadfael zuerst darauf aufmerksam, und danach konnte er sich nicht mehr davon befreien.
Wohin er auch schaute, selbst wenn er sich im Gebet auf den Altar konzentrierte, konnte er den blassen Fleck aus den Augenwinkeln sehen.
Als das Morgenoffizium endete und die stumme Prozession aus dem Gestühl des Mönchschores trat, um in langer Reihe durch das Kirchenschiff, die Treppe hinauf und in den Schlafsaal zu ziehen, trat Cadfael seitwärts aus der Reihe, bückte sich und hob auf, was ihn in seinen Gedanken beschäftigt hatte. Es war ein einzelnes Blütenblatt von einer Rose, dessen Farbe im Kerzen schein nicht erkennbar war, das sich aber hell und blaß zeigte, mit einem dunkleren Rand. Er wußte sogleich, woher es stammte, und mit dieser mitternächtlichen Klarheit des Geistes erkannte er, warum er es hier gefunden hatte.
Ein Glück, daß er in der Nähe gewesen war, als Emma ihre ausgewählte Rose gebracht und zu dem Toten in den Sarg gelegt hatte. Wäre er nicht Zeuge gewesen, dieses Blütenblatt hätte ihm nichts verraten. So aber verriet es ihm alles. Mit frommer Behutsamkeit und Feierlichkeit - wie sie jungen Menschen eigen ist, wenn sie bewegt sind - hatte sie ihre Gabe in beiden Händen dargebracht, und nicht ein Blatt, nicht ein Körnchen des gelben Pollens aus dem offenen Herzen war zu Boden gefallen.
Wer immer so beharrlich nach etwas fahndete, das er in Meister Thomas' Besitz wähnte, war nach der Durchsuchung der Leiche, der Barke und des Marktstandes nicht vor dem Sakrileg zurückgeschreckt, den Deckel des Sarges hochzuheben. Dieser war zwischen Komplet und Matutin geöffnet und wieder geschlossen worden. Und ein einziges Blütenblatt der welkenden Rose hatte sich gelöst und war unbemerkt zu Boden gefallen, um für die Blasphemie Zeugnis abzulegen.
Der dritte Tag des Jahrmarkts
1. Kapitel
Im ersten Morgengrauen erhob sich Emma, stahl sich aus dem breiten Bett, das sie mit Constance teilte, und kleidete sich sehr leise und vorsichtig an. Gleichwohl beunruhigte das Gefühl der Bewegung mehr als irgendein Geräusch den Schlaf der Dienerin. Sie schlug die Augen auf, sofort hellwach und bei klarer Besinnung.
Emma legte einen Finger an die Lippen und warf einen bedeutungsvollen Blick zu der Tür, hinter der Hugh und Aline Beringar schliefen. »Still!« wisperte sie. »Ich gehe nur zur ersten Gebetsstunde in die Kirche. Ich möchte niemanden wecken.«
Constance hob die Brauen und nickte. Heute sollte die Totenmesse für den Verstorbenen gelesen und danach seine sterblichen Überreste zum Boot geschafft werden. Da war es erklärlich, daß das Mädchen diesen Tag zu Buß- und Gebetsübungen nutzen wollte, für die ewige Ruhe ihres Onkels und ihr eigenes Seelenheil. »Ihr werdet das Kloster doch
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