Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Aufstand

Der Aufstand

Titel: Der Aufstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean McCabe
Vom Netzwerk:
offen. Auf der anderen Seite der Scheibe stand auf dem Fensterbrett Kate. Sie fuhr mit den Fingernägeln über das Glas und warf ihm flehende Blicke zu.
    «Lass mich rein, Dec, bitte.»
    Dec fiel von der Couch und begann, auf sie zuzukrabbeln. Auf halbem Weg zum Fenster hielt er inne und fasste sich an die Wunden an seinem Hals.
    Das ist nicht Kate. Kate ist tot.
    «Es ist so kalt hier draußen, Dec», jammerte sie. «Liebst du mich denn gar nicht mehr?»
    Er zögerte.
    «Lass mich rein», flehte sie. «Ich will bei dir sein. Ich wollte
immer
schon bei dir sein.»
    Sie sah so traurig und so verletzlich aus da draußen. Er konnte ihr nicht mehr widerstehen. Er schaffte es, sich an einem Stuhl hochzuziehen, und wankte auf wackligen Knien zum Fenster. Dann griff er nach der Verriegelung.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 60
    Hotel Metropol, Venedig
    6.23  Uhr
    W o warst du denn?», murmelte Joel schläfrig unter der Bettdecke.
    Alex erstarrte auf dem Balkon. Hinter ihr brach über der Silhouette Venedigs der Tag an. Einen Augenblick lang glaubte sie schon, Joel habe gesehen, wie sie von der Straße auf die Balkonbrüstung geklettert war, und suchte fieberhaft nach einer Erklärung für ihre unkonventionelle Art, das Hotel zu betreten.
    «Ich habe die Tür gar nicht gehört», sagte er, rieb sich die Augen und setzte sich im Bett auf. Sie atmete beruhigt durch.
    «Ich schlafe nachts manchmal nicht so gut», erklärte sie ungezwungen. «Aber nach einem kleinen Spaziergang geht es besser. Ich wollte dich nicht wecken.»
    Joel streckte die Füße unter der zerwühlten Bettdecke hervor. «Du hättest mich wecken sollen, dann wäre ich mitgekommen.»
    Sie lächelte. «Ein Mädchen ist gern auch mal allein.»
    «Und wie wär’s jetzt?»
    «Jetzt möchte ich mit dir zusammen sein.» Sie ging ans Bett und legte ihm die Hände auf die Schultern.
    «Ich kann gar nicht glauben, dass du gerade draußen in der Kälte warst. Deine Hände sind total warm.»
    «Ich habe eben eine gute Blutzirkulation», erwiderte sie.
    Vor allem dann, wenn ihre Adern mit dem frischen Blut von jemand anderem gefüllt waren. Blitzartig schoss ihr die Erinnerung an ihre beiden Opfer der vergangenen Nacht durch den Kopf. Das erste Opfer war ein junger Mann auf dem Heimweg von einer Bar gewesen. Sie war ihm lautlos ein paar hundert Meter weit gefolgt und dann in einer schmalen Gasse über ihn hergefallen.
    Das zweite war eher ein zusätzlicher Luxus gewesen, den sie sich gegönnt hatte. Auf dem Rückweg zum Hotel hatte sie von einer Brücke aus einen einsamen Gondoliere erspäht, der wie eine Vision auf dem Kanal unter ihr durch den vormorgendlichen Nebel geglitten war. Sie hatte einfach nicht widerstehen können. Als ihm bewusst geworden war, dass er einen unerwünschten Fahrgast hatte, war dieser bereits dabei, ihm das Blut aus dem Hals zu saugen.
    Sie hatte gerade noch genug Vambloc für ihr zweites Opfer gehabt und machte sich nun Sorgen darum, wie es ohne das Medikament weitergehen sollte.
    Aber zumindest war Joel jetzt erst einmal vor ihr sicher, und das bedeutete ihr sehr viel.
    «Schau mal, was wir gestern Nacht mit dem Bett gemacht haben», sagte er lächelnd, als er begann, ihren Mantel aufzuknöpfen. «Es ist ganz schön mitgenommen.»
    «Wenn du auch so stürmisch bist», murmelte sie. Der Mantel rutschte von ihren Schultern, und dann glitten seine Finger unter ihrer Bluse hoch. Sie stieß ihn aufs Bett und setzte sich rittlings auf ihn.
    Nachdem sie sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden geliebt hatten, riefen sie den Zimmerservice. Beim Frühstück im Bett konnte er die Augen nicht von ihr lassen, und immer wieder umschloss er ihre Hand. «Das fühlt sich alles so seltsam an», sagte er. «Obwohl wir uns eben erst kennengelernt haben, kommt es mir so vor, als würde ich dich schon mein ganzes Leben lang kennen.»
    «Vielleicht ist das ja so», erwiderte sie.
     
    Es war hell, aber sehr frisch, als sie die Straßen und Plätze Venedigs durchstreiften. Die vielen Stunden, in denen sie diskutiert, das Notizbuch studiert und sich den Kopf darüber zerbrochen hatten, waren ohne konkretes Ergebnis geblieben, und der Tag verging, ohne dass sie auch nur einen Schritt weitergekommen wären.
    Mittag war schon vorbei, als sie noch immer ziellos durch die alte Stadt irrten. Zu ihrer Linken schwankten Reihen vertäuter Boote und Gondeln auf dem glitzernden Wasser des Canal Grande, als sie den Dogenpalast und das Archäologische Museum passierten.

Weitere Kostenlose Bücher