Der Auftrag
Sakrileg blieb es dennoch. Sagischvar nickte kurz. »Wir werden Schritte gegen diese Gesetzlosen unternehmen. Man muss sie austilgen wie Ungeziefer.«
Jaryn war seiner Meinung, aber als das Bild Rastafans vor seinem inneren Auge erschien, fand er, dass dieser Mann mit Ungeziefer wenig Ähnlichkeit hatte. Auch das Wort ›austilgen‹ beunruhigte ihn. Warum nur? Er war sonst nicht so zartbesaitet bei Menschen, die tief unter ihm standen.
Hatte Sagischvar das Flackern seiner Augen bemerkt, die Jaryn nur sehr selten unmittelbar auf andere Priester richtete? Jedenfalls knurrte er verdrießlich und wies auf eine Sitzgruppe, die mitten im Raum stand. »Nun will ich von Anamarna hören. Den Mantel magst du derweil anbehalten, wir sind hier unter uns.«
Jaryn setzte sich. Dass Sagischvar ihm nicht einmal Zeit ließ, sich umzuziehen, bewies, wie wichtig ihm die Nachricht war. Nachdem Jaryn in aller Ausführlichkeit von dem Gespräch berichtet hatte – Aven erwähnte er nicht –, starrte Sagischvar ihn lange an. Das Schweigen war Jaryn unangenehm. »Ich weiß um diese Dinge«, sagte Sagischvar schließlich. »Alle weisen Männer im Reich kennen die Geschichte – viele sind es nicht gerade.« Er räusperte sich. »Du bist nun die Hoffnung von Jawendor, ist dir das bewusst?«
Jaryns Unterlippe zitterte leicht, als er erwiderte: »Ja, Erhabener.«
»Alle Eingeweihten haben in den Schriften geforscht und nach dem Mann gesucht, dem es gegeben ist, das Unheil abzuwenden. Erst vor Kurzem hat Anamarna ihn gefunden. Du bist es.«
»Mit mir wählten die Götter den Unwürdigsten«, erwiderte Jaryn demutsvoll, »aber warum musste ich den beschwerlichen Weg zu Anamarna antreten. Ihr habt es doch auch gewusst?« Denn mit Missfallen dachte er an sein Abenteuer, das ihm erspart geblieben wäre.
»Hast du von der heiligen Quelle getrunken? Hast du in der heiligen Quelle gebadet?«
Jaryn stutzte. »Ja – aber …«
»Sie hat dich gereinigt, innerlich wie äußerlich. Das Ritual war erforderlich, um dich auf das vorzubereiten, was dich erwartet.«
Wenn ich nur selbst wüsste, was das ist , dachte Jaryn. Der schlanke Aven fiel ihm ein, der täglich in dieser Quelle baden durfte, ohne mit aussichtslosen Aufträgen beschwert zu werden.
»Wie Anamarna sagte, du musst dich unter die Menschen begeben, aber deine Würde als Sonnenpriester darf nicht beschädigt werden. Dazu ist es notwendig, dass dich die Menschen berühren dürfen, beschimpfen, verjagen, was auch immer einem niederen Geist einfallen mag. Das Wasser der Kurdurquelle schützt dich vor jeglicher inneren Beschmutzung. Was auch immer dir angetan wird, es mag deinen Körper beschädigen, deine Sinne beleidigen, den Kern deiner Weihe als Sonnenpriester berührt es nicht.«
Sagischvars Ausführungen ängstigten Jaryn. Was kam da auf ihn zu? Nur eine Sache tröstete ihn: Wenn er durch das Bad in der Quelle gereinigt war, dann war alles, was Rastafan ihm angetan hatte, unwichtig, drang nicht in ihn ein, berührte ihn nicht, so wie Wasser von Pergament abperlt.
»Ich bitte Euch untertänigst um Beistand und Rat«, sagte er. »Ich bin über die Maßen geehrt, muss aber gestehen, dass ich mich hilflos und unwissend fühle.«
Sagischvar nickte. »Du darfst jede Hilfe in Anspruch nehmen, die sich dir bietet. Soweit es in meiner Macht steht, werde ich dir beistehen, aber bedenke, nicht ich bin der Mann der Bestimmung. Oftmals werde ich dir nicht raten können. Ich empfehle dir zuerst, die alten Schriften zu lesen. Schriften aus uralter Zeit, die im Archiv lagern und schon seit Jahrzehnten nicht mehr hervorgeholt wurden. Wozu auch? Ihr Wissen würde außer dir niemandem nützen. Außerdem wirst du von Zeit zu Zeit den Tempel verlassen und dich in unterschiedlichen Verkleidungen unter das Volk mischen. Innerhalb der Stadt und, wenn erforderlich, auch außerhalb. Der Mann, den du finden musst, wird dir begegnen, das ist sicher. Wo und wann, das kann dir niemand sagen.«
Alte Schriften! Davon verstand Jaryn etwas. Sie waren sein ureigenstes Gebiet. Er war froh, mit ihnen beginnen zu können. Sie waren ein erster Anhaltspunkt. Danach würde er weitersehen.
4
Im unwegsamen Felsengebirge am westlichen Ende der Rabenhügel, wo für den Fremden jeder Pfad vor einer Steilwand oder einer Schlucht endete, befand sich das Lager der Berglöwen, wie sich die Bande aus Gesetzlosen stolz nannte. Ihre aus Felsgestein und Holzbalken gebauten Hütten duckten sich unter herabhängenden
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