Der Auftrag
Felswänden, von deren Kuppen aus man die umliegenden Hügel weit überblicken konnte. Der Eingang zum Lager war für Unkundige schwer zu entdecken. Der einzige Durchschlupf, der ohne schwieriges Klettern Zugang zum Lager bot, wurde von dichtem Unterholz verdeckt. Er wurde selten benutzt. Die Männer hatten genug Stufen und Tritte in die Felsen geschlagen, um auf diesen Wegen das Lager zu verlassen.
Die Herrscherin über die vielköpfige Räuberschar, deren Zahl schwankte – es wurden Neue aufgenommen, andere hatten auf den Zinnen Margans ihren letzten Schnaufer getan – war Zahira, eine füllige Frau mit langen, schwarzen Locken, glutvollen Augen und einem verführerischen Mund. In ihrer Jugend war sie eine Schönheit gewesen, doch sie war auch heute immer noch begehrenswert. Ein rassiges Weib war sie, und wer ihr gefiel, den nahm sie sich. Doch niemals gewährte sie einem aus der Bande ihre Gunst, das hätte zu hässlichen Raufereien oder sogar Totschlag geführt.
Von ihren Berglöwen wurde sie Mama Zira genannt, mal zärtlich, mal respektvoll. Die rauen Männer gehorchten ihr aufs Wort, sie liebten und verehrten sie, aber obwohl sie Mama genannt wurde, war sie keineswegs von mütterlichem Gemüt. Sie hatte ihre Kerle fest im Griff und mochte kein Gejammer. »Ich kann keine Muttersöhnchen gebrauchen«, pflegte sie zu sagen. »Das Leben ist hart, und uns schützt kein Gesetz, also seid ebenso hart, gegen andere und gegen euch selbst.«
Im Lager wurden aus guten Gründen keine anderen Frauen geduldet. Mama Zira war eine Ausnahme, denn vor Jahren war sie die Frau des allseits gefürchteten Bagatur geworden, der sie von irgendwoher mitgebracht hatte. Sein Wort war Gesetz gewesen, wenn auch einige gemurrt hatten. Bagatur war vor drei Jahren in eine Falle der Eisernen Garde geraten, war auf den Zinnen von Margan gepfählt worden und hatte zwei Tage lang gelitten, bis er endlich gestorben war. Rastafan, sein Sohn, hatte sein langes Sterben unterhalb der Mauer mit angesehen. Seitdem hasste er diese Stadt, die er nicht bezwingen konnte, er hasste alles, was in ihr war und aus ihr kam und von der nur Unheil zu erwarten war.
Er saß bei seiner Mutter am Tisch und spielte mit der Kette, die er einem Sonnenpriester abgenommen hatte, der wie ein Trottel durch einen Wald marschiert war, den sogar beherzte Krieger scheuten. Er hatte die Kette seiner Mutter schenken wollen, doch Zahira hatte abgewehrt und gemeint, dafür sollten sie besser Waffen und Winterkleidung kaufen. Beides bekam man in ausgezeichneter Qualität bei den Xaytanern jenseits der Wolkenberge, aber zu hohen Preisen.
Zahira war verärgert, das sah Rastafan ihr an. Sie schüttelte ihre dichten Locken wie ein wütender Löwe und musterte ihn missbilligend. »Er war also ein Sonnenpriester, und du hast ihn leben lassen? Hast du deinen Verstand bei den Windhexen verloren? Weißt du nicht, was dein Vater …«
Rastafan hob beschwichtigend die Hand. »Ich weiß es. Und wenn es kein Sonnenpriester gewesen wäre …«
»Die sind am allerschlimmsten!«, fauchte Zahira. »Du hättest ihn herbringen sollen, diesen Parasiten, diesen Frömmler, diesen Leuteschinder! Ich hätte ihn langsam rösten lassen, so wie sie es in Margan mit Leuten tun, die einen von den Scheusalen berühren.«
Rastafan lächelte in Gedanken an die Berührungen, die er mit dem Sonnenjüngling gehabt hatte. »Er war unterwegs im Auftrag Anamarnas. Und dieser weise Mann …«
»Binde mir keinen Frosch ans Bein, Sohn! Dieser Anamarna beeindruckt dich weniger als krächzende Krähen. War der Sonnenpriester jung und hübsch?«
Rastafan lächelte ertappt, dann zuckte er mit den Schultern. »Wie sie eben aussehen, die aus Margan. Verweichlicht, weibisch, aber auch nicht übel.«
»Ha!« Zahira streckte ihm beide Handflächen entgegen, als schleudere sie einen Fluch auf ihn. »Du hast ihn nicht nur geritten, du hast dein Herz an ihn verloren. Das ist gefährlich! Das dulde ich nicht!«
»Mutter«, bemühte sich Rastafan um einen sachlichen Ton. »Ich habe kein Herz, jedenfalls keins für Marganer. Aber der Junge hatte etwas an sich. Ich wollte ihm die Kehle aufschlitzen, aber ich konnte es nicht.«
»Magie!«, zischte Zahira. »Diese Hundesöhne vom Sonnentempel wenden Magie an. Du darfst sie nicht berühren und ihnen nicht in die Augen sehen. Bei Nirgal! Du hast dich von ihm blenden lassen. Das darf dir nie wieder geschehen.«
Rastafan verzog verächtlich die Mundwinkel. »Magie gibt es
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