Der Auftrag
Grenze. Ein ödes Nest, aber eine Taverne steht neben der anderen. Narmora liegt bereits am Rande der weißen Wüste und ist so abgelegen, dass Schergen aus Margan dort nie auftauchen, es sei denn, sie wollen sich selber amüsieren. Und das geschieht gar nicht so selten.«
Jaryn blinzelte spöttisch. »Aber du gehst nicht hin?«
»Ich? Selbstverständlich gehe ich hin. Dort gibt es alles, was du dir vorstellen kannst – ich meine, was sich ein Sonnenpriester vorstellen darf. Frauen und hübsche Burschen. Allerdings gegen Geld, und das war oft knapp bei uns. Aber seit wir das Gold aus Xaytan haben, hocken die Berglöwen mehr in Narmora als hier in den Rabenhügeln.«
Diese Aussage kränkte Jaryn etwas. »Ich verstehe. Da hattest du Glück, dass du es bei mir umsonst bekommst.«
»Rede keinen Unsinn!«, beschwichtigte Rastafan ihn und strich ihm eine Strähne aus der Stirn. »Zwischen dir und einem Lustknaben besteht ein himmelweiter Unterschied.«
»Das will ich hoffen!«, fauchte Jaryn, gar nicht amüsiert.
Rastafan sah ein, dass er es falsch angepackt hatte. »Ich wollte sagen, es mit einem Käuflichen zu treiben, der hinterher nur die Hand aufhält, das ist wie saure Suppe, aber man isst sie, wenn man nichts anderes hat. Und du wirst nicht erwarten, dass ich in deiner Abwesenheit den Keuschheitsgürtel enger schnalle.«
Jaryn musste lachen. »Was ist denn ein Keuschheitsgürtel?«
»Ach, das brauchst du nicht zu wissen.« Rastafan gab ihm einen Nasenstüber wie einem kleinen Jungen. Jaryn verbarg sein Missfallen darüber. Wenn Rastafan auch körperlich stärker war, so wollte er doch nicht von ihm wie ein Kind behandelt werden. Aber er ließ sich nichts anmerken. »Deine Mutter ist also die einzige Frau im Lager? Und sie wird geduldet?«, kam er wieder auf sein Thema zurück.
»Meine Mutter lässt sich nichts vorschreiben. Sie war die Frau unseres Anführers, des großen Bagatur. Die Berglöwen gehorchen ihr – ich übrigens auch, meistens.« Über Rastafans Gesicht glitt ein belustigter Schimmer, doch Jaryn hatte plötzlich das Gefühl, dass die Luft um ihn herum kälter geworden war. »Bagatur?«, wiederholte er flüsternd. »So hieß dein Vater?«
Rastafan nickte. »Sein Name war im ganzen Land gefürchtet, aber nach seinem Tod sind die Berglöwen zahm geworden. Und jetzt mit dem plötzlichen Reichtum werden sie wohl endgültig zu Lämmern …«
Weil Jaryn nicht antwortete, fuhr Rastafan fort: »Mein Vater wurde in Margan gepfählt, hast du das gewusst?«
Jaryn schüttelte den Kopf. Immer noch blieb er stumm.
»Du meinst wohl, das hätte er verdient? Nun, ich sage dir, kein Mensch verdient so einen Tod, außer vielleicht das Stinktier Borrak. Der schon, ja. Na, vielleicht auch noch einige andere in Margan, aber mein Vater? Nein, der hatte sich nur geholt, was Margan ihm geraubt hatte.«
»Und was hatte es ihm geraubt?«, fragte Jaryn leise.
»Ein standesgemäßes Leben, wie es einem so tapferen Kerl wie ihm zugestanden hätte. Aber sein Vater war nur ein Schmied gewesen, und als seine Werkstatt durch ein Versehen abgebrannt war, wollte er sich in Margan etwas Geld leihen. Er hätte es zurückgezahlt, er war ja tüchtig, und Schmiede braucht ein jeder. Aber man hatte ihn am Tor abgewiesen. Die Nachbarn hätten ihm und seiner Familie geholfen, aber die Schande war zu groß für ihn gewesen. Er hat sich erhängt. Ja, und mein Vater war damals gerade fünfzehn, als er losgezogen ist in die Rabenhügel.«
Das war ein Schicksal, wie es viele gab. Jaryn konnte nicht behaupten, dass es ihn sehr berührte, schließlich hatte er jenen Bagatur nicht gekannt. Aber Orchan hatte diesen Namen genannt. Ein Bagatur hatte die schwangere Sklavin geraubt.
»Das habe ich nicht gewusst«, erwiderte Jaryn pflichtschuldig und dann wie nebenbei: »Wie kam es denn, dass deine Mutter zu den Räubern stieß?«
Rastafan lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Da existieren mehrere Versionen. Stets hat sie uns eine neue Geschichte vorgeflunkert, wie sie ihren geliebten Bagatur kennengelernt hatte. Mal hatte er sie beim Blumenpflücken überrascht, mal war er ihr am Wegesrand hoch zu Ross begegnet, und mal hatte er sie entführt.«
»Entführt?«, hakte Jaryn rasch ein. »Dann war sie wohl sehr schön?«
»Meine Mutter ist heute noch eine Schönheit.« Rastafan klopfte sich auf die Brust. »Das habe ich von ihr geerbt, das sieht man doch, oder?«
Jaryn war in diesem Augenblick nicht zum Scherzen zumute. Er
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