Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
durchs Treppenhaus zu ihr herauf. Sie griff in ihre Manteltasche und zog die Pistole, die sie aus dem Apartment in Brooklyn mitgenommen hatte. Hast du's heute schon zweimal gemacht, sagte sie sich, kannst du's auch ein drittes Mal.
    Sie rannte weiter. Die Treppe schien nicht enden zu wollen. Sie versuchte sich zu erinnern, in welchem Stockwerk Cannons Apartment lag. Im 16. Stock - ja, das stimmte; das wußte sie ganz sicher. Auf dem nächsten Treppenabsatz kam sie an einer Tür mit der Aufschrift 7. Stock vorbei.
    Weiter, Jacqueline! ermahnte sie sich. Nicht langsamer werden. Er ist krank. Er ist todkrank. Du kannst ihn einholen. Beweg dich!
    Sie dachte an Gabriel, der dort oben auf dem Treppenabsatz verblutete, und zwang sich dazu, noch schneller zu rennen. Wie eine Rasende stürmte sie die Treppe hinunter. Sie war von der Vorstellung besessen, sie könnte Gabriel vielleicht das Leben retten, wenn es ihr gelang, Tariq zu erschießen.
    Sie dachte an den Tag, an dem Gabriel gekommen war, um sie zu holen, erinnerte sich an ihre Radtour über die Hügel um Valbonne, an das Brennen in ihren Oberschenkeln, als sie sich zu einem neuen Rekord getrieben hatte.
    Mach's noch einmal!
    Jacqueline erreichte die unterste Treppenhausebene. Vor sich sah sie eine stählerne Brandschutztür, die sich langsam schloß.
    Tariq war unmittelbar vor ihr!
    Sie riß die Stahltür auf und stürmte hindurch. Dahinter lag ein ungefähr 15 Meter langer Korridor mit einer weiteren Brandschutztür am anderen Ende. Tariq befand sich auf halbem Weg dorthin.
    Er war sichtlich erschöpft. Sein Tempo hatte sich verlangsamt; seine Schritte waren kurz und unkoordiniert. Als er sich über die Schulter nach ihr umsah, war sein Gesicht nach der anstrengenden Hetzjagd die Treppe hinunter zu einer Schmerzensmaske verzerrt. Jacqueline riß ihre Pistole hoch und gab rasch nacheinander zwei Schüsse ab. Der erste schien über seinen Kopf hinwegzugehen, aber der zweite traf Tariq hoch in die linke Schulter und ließ ihn zusammenbrechen. Als er auf dem Betonboden aufschlug, fiel ihm die Pistole aus der Hand und rutschte den Korridor entlang, bis sie gegen die Tür am anderen Ende schepperte. Jacqueline trat auf ihn zu und drückte wieder und wieder und wieder ab, bis die Pistole leer geschossen war, und sie ganz sicher war, daß Tariq al-Hourani tot war.
    Dann ging die Tür am Ende des Korridors auf. Sie zielte auf den hereinkommenden Mann, aber es war nur Ari Schamron. Er trat auf sie zu, löste die Pistole aus ihrem krampfhaften Griff und steckte sie in seine Manteltasche.
    »Wo ist Gabriel?«
    »Oben.«
    »Ist's schlimm?«
    »Ich denke schon.«
    »Bringen Sie mich zu ihm.«
    Jacqueline sah auf Tariqs Leiche hinunter. »Was ist mit ihm?«
    »Lassen Sie ihn liegen«, sagte Schamron. »Lassen Sie die Hunde sein Blut auflecken. Bringen Sie mich zu Gabriel. Ich will Gabriel sehen.«

4 6 Jerusalem; Mär z
    Gabriel wachte auf. Er sah auf die Leuchtzeiger seiner Armbanduhr, schloß wieder die Augen: Viertel nach fünf. Er lag da und versuchte auszurechnen, wie lange er geschlafen hatte. Versuchte sich zu erinnern, wann er von der Couch aufgestanden war und sich ins Bett geschleppt hatte - und wie lange hatte er dann noch gebraucht, um in Bewußtlosigkeit zu versinken? Hatte er wirklich geschlafen? Er hatte so lebhaft geträumt, daß er das Gefühl hatte, überhaupt nicht geschlafen zu haben.
    Er lag ganz still, um abzuwarten, ob er vielleicht wieder einschlafen würde, aber das nützte nichts. Dann kamen die Geräusche: der Ruf eines Muezzins, der von Silwan aus übers Tal Hinnom schallte. Eine Kirchenglocke, die im armenischen Viertel bimmelte. Die Gläubigen waren erwacht. Den Ungläubigen und den Verletzten blieb kaum eine andere Wahl, als sich ihnen anzuschließen.
    Er tastete seine Brust mit den Fingerspitzen ab, suchte die schmerzenden Stellen. Weniger schlimm als gestern. Jeder Tag brachte eine kleine Besserung. Er wälzte sich vorsichtig aus dem Bett, ging in die Küche, kochte Kaffee, steckte Brot in den Toaster. Er war ein Gefangener, und wie jeder Gefangene fand er Trost in routinemäßigen Ritualen.
    Seine Zelle war gar keine Zelle, sondern eine hübsche sichere Wohnung mit Blick aufs Zionstor: kühle Fliesenböden, weiße Flokatis, weiße Möbel. Sie erinnerte Gabriel an ein Krankenrevier, das sie in mancher Hinsicht auch war. Er zog einen leichten Pullover an, einen grauen Rollkragenpulli aus Baumwolle, und trug sein Frühstück durch die Fenstertür zu

Weitere Kostenlose Bücher