Der aufziehende Sturm
dazu weder eine Erlaubnis noch eine Einladung.«
Beslan nickte, verneigte sich, begab sich dann aber an die Seite des Raumes, um zuzusehen.
»Vielen Dank, Höchste Tochter«, sagte Galgan ehrfurchtsvoll und trat vor. Er gab seinen So'jhin ein Zeichen, die draußen im Korridor warteten. Sie traten ein - warfen sich zuerst vor Tuon zu Boden -, dann stellten sie schnell einen Tisch auf und rollten Karten aus. Ein Diener brachte Galgan ein Bündel, das dieser dann entgegennahm, um damit auf Tuon zuzugehen. Karede stand im nächsten Augenblick an ihrer rechten Schulter, Selucia an ihrer linken, aber Galgan hielt eine respektvolle Distanz ein. Er verneigte sich und rollte den Gegenstand auf dem Boden aus. Es war ein rotes Banner mit einem Kreis in der Mitte, der von einer Schlangenlinie geteilt wurde. Die eine Hälfte des Kreises war schwarz, die andere weiß.
»Was ist das?«, fragte Tuon und beugte sich vor.
»Das Banner des Wiedergeborenen Drachen«, sagte Galgan. »Er schickte es mit einem Boten, mit der erneuten Bitte um ein Treffen.« Er schaute auf - erwiderte dabei aber nicht ihren Blick, zeigte jedoch eine nachdenkliche, besorgte Miene.
»Als ich heute Morgen aufstand«, sagte Tuon, »da sah ich am Himmel ein Muster, das drei Türmen ähnelte, und einen Falken hoch in der Luft, der zwischen ihnen durchflog.«
Die verschiedenen Angehörigen des Blutes im Raum nickten anerkennend. Allein Beslan erschien verwirrt. Wie schafften es diese Leute nur zu leben, wenn sie keine Omen erkannten? Verspürten sie denn nicht den Wunsch, die Schicksalsvisionen zu verstehen, die ihnen das Muster schenkte? Der Falke und die drei Türme waren ein Omen, das schwierige Entscheidungen anstanden. Ein Hinweis, dass Kühnheit gefragt war.
»Was haltet Ihr von der Bitte des Wiedergeborenen Drachen, ein Treffen durchzuführen?«, fragte sie den General.
»Möglicherweise wäre es unklug, diesem Mann gegenüberzutreten, Höchste Tochter. Ich bin mir nicht sicher, ob sein Anspruch auf diesen Titel gerechtfertigt ist. Davon abgesehen, hat das Kaiserreich im Augenblick nicht genug andere Sorgen?«
»Ihr fragt Euch, warum unsere Streitkräfte nicht den Rückzug angetreten haben«, sagte Tuon. »Warum wir nicht nach Seanchan aufgebrochen sind, um den Thron zu sichern.«
Er neigte den Kopf. »Ich vertraue Eurer Weisheit, Höchste Tochter.«
»Das ist der Wiedergeborene Drache. Und kein Hochstapler. Davon bin ich überzeugt. Er muss sich vor dem Kristallthron verbeugen, bevor die Letzte Schlacht ihren Anfang nehmen kann. Darum müssen wir bleiben. Es ist kein Zufall, dass die Wiederkehr jetzt geschieht. Wir werden hier gebraucht. Leider mehr, als wir in unserer Heimat gebraucht werden.«
Galgan nickte langsam. Er war mit ihr einer Meinung, dass der Rückzug nach Seanchan nicht infrage kam; er war einfach davon ausgegangen, dass das ihr Wunsch war. Indem sie verkündete, dass sie blieben, hatte sie sich seinen Respekt verdient. Natürlich würde er weiter darüber nachdenken, den Thron für sich selbst zu erobern. Ein Mann konnte nicht seine Position erreichen, ohne eine gehörige Portion Ehrgeiz zu haben.
Aber er war nicht nur als ambitionierter Mann bekannt, sondern auch als ein besonnener. Er würde nicht zuschlagen, solange er nicht davon überzeugt war, dass es nötig war. Er würde der festen Überzeugung sein müssen, dass er große Aussicht auf Erfolg hatte und dass das Kaiserreich durch Tuons Entfernung profitierte. Das war der Unterschied zwischen einem ehrgeizigen Narren und einem ehrgeizigen weisen Mann. Der Letztere verstand, dass jemanden zu töten erst der Anfang war. Tuon ihr Leben zu nehmen und den Thron für sich selbst zu beanspruchen würde ihm nichts bringen, wenn er den Rest des Blutes damit vor den Kopf stieß.
Er begab sich zu dem Tisch mit seinen Karten. »Wenn Ihr den Krieg fortzuführen wünscht, Höchste Tochter, erlaubt mir den Zustand Eurer Armee zu erklären. Einer unserer ambitioniertesten Pläne wird von Generalleutnant Yulan vorbereitet.«
Galgan gestikulierte den versammelten Offizieren, und ein kleiner dunkelhäutiger Mann vom Niederen Blut trat vor. Er trug eine schwarze Perücke, um seine Kahlheit zu verbergen, und er kniete vor Tuon und verneigte sich.
»Man befiehlt Euch, sich zu erheben und zu sprechen, General«, sagte Selucia als Stimme.
»Die Höchste Tochter soll meinen Dank erfahren«, sagte Yulan und stand auf. Am Kartentisch bedeutete er mehreren Helfern, eine Karte hochzuhalten, damit
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