Der aufziehende Sturm
war König; keiner verlangte von ihm, sich so tief zu verbeugen. Er war vielen vom Blut gleichgestellt.
Beinahe hätte Tuon glauben können, dass er sich einfach nur demütig gegenüber der Frau verhielt, die bald Kaiserin sein würde. Aber sie wusste zu gut über sein Temperament Bescheid, sowohl durch ihre Spione wie auch vom Hörensagen.
»Die Tochter der Neun Monde wünscht den Grund zu erfahren, warum Ihr nicht länger Hof haltet«, sagte Selucia und beobachtete Tuons Hände. »Sie findet es bedauerlich, dass Euer Volk keine Audienz bei seinem König erhalten kann. Der Tod Eurer Mutter war so tragisch wie schockierend, aber Euer Königreich braucht Euch.«
Beslan verneigte sich. »Bitte lasst sie wissen, dass ich es für unangebracht hielt, mich über sie zu erheben. Ich bin mir im Zweifel, wie ich mich verhalten soll. Ich wollte niemanden beleidigen.«
»Seid Ihr sicher, dass das der wahre Grund ist?«, fuhr Selucia in ihrer Funktion als Stimme fort. »Und nicht, weil Ihr vielleicht eine Rebellion gegen uns plant und keine Zeit für Eure anderen Pflichten habt?«
Beslan schaute ruckartig mit weit aufgerissenen Augen auf. »Euer Majestät, ich ...«
»Ihr braucht keine weiteren Lügen zu erzählen, Kind von Tylin«, wandte sich Tuon direkt an ihn, was dem versammelten Blut überraschtes Keuchen entlockte. »Ich weiß von den Dingen, die Ihr General Habiger und Eurem Freund Lord Malaiin gesagt habt. Ich weiß von Euren unauffälligen Treffen im Keller der Schenke Die drei Sterne. Ich weiß alles, König Beslan.«
Stille legte sich schwer auf den Raum. Beslan neigte kurz den Kopf. Dann stand er überraschend auf und starrte ihr direkt in die Augen. Sie hätte nicht gedacht, dass dieser Jüngling mit der leisen Stimme das in sich hätte. »Ich lasse nicht zu, dass mein Volk ...«
»Ich an Eurer Stelle würde schweigen«, unterbrach Tuon ihn. »Ihr steht schon auf Sand.«
Beslan zögerte. Sie konnte die Frage in seinen Augen lesen. Würde sie ihn hinrichten lassen? Hätte ich die Absicht, dich zu töten, dachte sie, dann wärst du schon tot, und du hättest das Messer nie kommen gesehen.
»Seanchan ist in Aufruhr«, sagte sie und beobachtete ihn. Die Worte schienen ihn zu erschüttern. »Ach, glaubtet Ihr, ich würde das ignorieren, Beslan? Ich schaue mir doch nicht in aller Ruhe die Sterne an, während mein Reich um mich herum zusammenbricht. Die Wahrheit muss zur Kenntnis genommen werden. Meine Mutter ist tot. Es gibt keine Kaiserin.
Allerdings sind die Streitkräfte der Corenne mehr als ausreichend, unsere Positionen hier auf dieser Seite des Ozeans zu behaupten, Altara eingeschlossen.« Sie beugte sich vor und bemühte sich, Kontrolle und Entschlossenheit auszustrahlen. Ihre Mutter hatte das zu jedem Zeitpunkt geschafft. Tuon hatte nicht die Größe ihrer Mutter, aber sie würde diese Aura brauchen. Andere mussten sich sicherer fühlen, nur weil sie in ihre Gegenwart traten.
»In solchen Zeiten«, fuhr sie fort, »können Drohungen von Rebellion nicht toleriert werden. Viele werden die Schwäche des Kaiserreiches als Gelegenheit betrachten, und ihr Unfrieden stiftender Zank würde das Ende von uns allen bedeuten, wenn man ihn einfach zulässt. Also muss ich streng sein. Sehr streng. Mit allen, die mich herausfordern.«
»Und warum lebe ich dann noch?«, wollte Beslan wissen.
»Ihr habt angefangen, Eure Rebellion zu planen, bevor die Geschehnisse im Kaiserreich bekannt gemacht wurden.«
Er runzelte verständnislos die Stirn.
»Ihr habt Eure Rebellion begonnen, als Suroth hier die Führung hatte«, sagte Tuon, »und als Eure Mutter noch Königin war. Seitdem hat sich viel verändert, Beslan. Sehr viel. Solche Zeiten bieten das Potenzial für große Erfolge.«
»Ihr müsst wissen, dass ich nicht nach Macht strebe«, sagte Beslan. »Die Freiheit meines Volkes ist alles, was ich wünsche.«
»Das weiß ich«, sagte Tuon und faltete die Hände, die Ellbogen auf die Stuhllehnen gelehnt, die lackierten Nägel gekrümmt. »Und das ist der andere Grund, aus dem Ihr noch lebt. Ihr rebelliert nicht aus Verlangen nach höheren Positionen, sondern aus reinem Unwissen. Ihr seid fehlgeleitet, und das bedeutet, dass Ihr Euch ändern könnt, solltet Ihr das nötige Wissen erhalten.«
Er starrte sie verwirrt an. Senk den Blick, du Narr. Bring mich nicht dazu, dich wegen Anmaßung auspeitschen lassen zu müssen! Und als hätte er ihre Gedanken vernommen, schaute er zur Seite, dann zu Boden. Ja, ihr Urteil war
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