Der Augenblick der Wahrheit
Minuten über dänische Themen, die mir nichts sagten, und verließen dann das Studio wieder. Zwischendurch wurden Mahlzeiten zubereitet und kurze Nachrichten verlesen, und eine Frau mit sonderbaren Armbewegungen erzählte vor einer Wetterkarte von Dänemark, daß der Sommer weitergehe. Dann fing eine junge Frau an zu singen. Ihre Augen und ihr Mund waren groß und geschminkt, und sie trug ein hautenges Kleid mit Push-up-BH, der besser pushte, als sie sang. Sie sang nämlich grauenhaft, wurde aber hinterher interviewt, was sie dazu sage, als eine von Dänemarks talentiertesten Popsängerinnen sowie als die neue Angebetete des Kronprinzen ausgerufen worden zu sein.
Ich schaltete zu CNN und ging ins Bad, ehe ich meinte, mir einen Anruf bei Clara Hoffmann erlauben zu dürfen. Sie klang wach und frisch und sagte, ihre Wohnung liege tatsächlich nur wenige Minuten Fußweg vom Hotel entfernt, so daß sie gern vorbeikommen wolle, ehe sie ins Büro gehe. In einer halben Stunde.
Ich setzte mich in die Lobby und wartete auf Clara Hoffmann.
Ich bestellte eine Kanne Kaffee und zwei Tassen. Die Anonymität internationaler Hotels hat etwas Beruhigendes. Ich wählte eine Eckgruppe mit Sofa, von wo aus ich die Tür im Auge behalten konnte. Man ist allein und doch zusammen mit Dutzenden anderer Menschen, aber jeder kümmert sich nur um sich selbst. Japanische Touristen warteten in einer Gruppe, und Geschäftsmänner im dunklen Anzug mit Diplomatenkoffer und Laptop checkten aus, während sie nervös auf die Uhr schauten und noch nervöser auf ihr Handy. Meines lag im Hotel Inglés in Madrid. Ich genoß es, unerreichbar und fremd an einem fremden Ort zu sein, der trotzdem genauso bekannt und wiedererkennbar war wie Madrid.
Ein schlaksiger Typ mit Zopf wie ich und einer hellen zerknitterten Sommerjacke über blauen Jeans und vermutlich kurzärmligem Hemd mit locker gebundenem Schlips trat aus dem Aufzug und ging zum Empfang. Er hatte ein praktisches Suitcase in der einen Hand und eine schwere Kameratasche in der anderen. Erst wollte ich so tun, als hätte ich ihn nicht gesehen, aber das wäre zu albern gewesen in Anbetracht all der Stunden, die er für uns gewartet hatte, auch zusammen mit mir, zum Beispiel auf Prinzessin Di, wenn sie ins Fitneßcenter ging.
Er hieß Derek Watson und war Australier. Er jagte den Jetset seit zwanzig Jahren und hatte ein Foto geschossen, das immer noch Geld brachte. Es war ein Bild von Diana und ihren Kindern. Sie trägt ein langes, dünnes Sommerkleid und beugt leicht die Knie, und gleichzeitig hebt der Wind den Rock, so daß man den größten Teil des einen nackten Beines sehen kann. Es war ein reizendes und sehr normales Foto einer Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern, aber aufgrund der Person war es mehr als das. So war es eine Enthüllung. Oder wie Oscar sagte, als wir das Foto in Kommission bekamen: »A lovely piece of thigh is everywhere, but her thigh ist nowhere.«
Wir und Derek hatten uns an dem Bild dick und dämlich verdient. Auch später noch mal, als die Prinzessin ums Leben kam und die Medien der Welt Amok liefen und wir egal was verscherbeln konnten, Hauptsache, sie war drauf. Besonders Dereks Foto verkaufte sich gut. Es paßte perfekt zu den seriösen Zeitungen, wenn sie entrüstete Leitartikel und Berichte darüber schrieben, mit welcher Kaltblütigkeit und Grausamkeit die Paparazzi solche Fotos schossen.
Ich stand also auf, ging zu ihm und tippte ihm auf die Schulter, während er nach seiner Kreditkarte fischte.
»Hi, Derek. Wie geht’s?«
»Lime, alter Schnüffler. Schön, dich zu sehen!«
»Willst du einen Kaffee?« sagte ich.
Er schaute auf seine Uhr.
»Das wär nett, aber ich muß meinen Flieger erreichen.«
»Okay.«
»Ich hab davon gehört … Ich habe Gloria in London getroffen.
Es tut mir wirklich leid, Peter.«
»Schon gut.«
Er bekam die Rechnung und reichte der Dame an der Rezeption seine Kreditkarte, ohne der Summe mehr als einen Blick zu schenken. Wahrscheinlich bezahlte er nicht selbst.
»Ich höre, du bist ausgestiegen?« sagte er.
»Ich mach auf jeden Fall eine Pause.«
»Daran hab ich auch gedacht nach der Sache mit Di. Man mußte verdammt noch mal denken, daß jeder mit einer Kamera ein Mörder wäre. Ich glaube wirklich, daß wir Journalisten und Fotografen ein paar Wochen beschissener angesehen wurden als die Politiker. Es gab eine Phase, wo mir mein eigener Zeitungsmann keine Zeitung mehr verkaufen wollte, weil er mich persönlich für
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