Der Augenblick der Wahrheit
ergreifen, die sich mir boten. Mit dem Alter war nämlich etwas gekommen, das ich bisher nicht kannte: Überdruß und Gewissen. Ich schreibe die dänischen Worte und sehe sie vor mir auf dem weißen Schirm meines Laptops und wundere mich, wie leicht sie mir fallen, nachdem ich nun so viele Jahre englisch und spanisch gesprochen und besonders geschrieben habe. Aber die Worte einer fremden Sprache passen nicht, wenn man wie ich jetzt mehr als einen kurzen Artikel, einen Bildtext, ein Memo oder einen Liebesbrief zu schreiben versucht.
Ich lag auf dem Bauch und fühlte die Sonne auf meinen Rücken brennen. Meine Lage auf dem verwitterten Felsboden, auf den trotz der Höhe kleine schwarze Sandkörner heraufgeweht worden waren und in jeder Spalte Schutz gefunden hatten, war nicht sehr bequem. Ich kam mir wie ein Heckenschütze in Bosnien vor und atmete ruhig und langsam, während ich die Sonne durch das dünne helle T-Shirt und die blauen Jeans und im Nacken spürte, den der Rand des weißen Sonnenhuts nicht mehr bedeckte. Hinter mir erhoben sich braune, verdorrte Berge. Wenn man ihnen weiter ins Land hinein folgte, würde man erleben, wie sie hoch und abweisend wurden, aber hier an der Küste waren sie sanfter und doch von der Sonne brutal und unfruchtbar verbrannt und vom Wind gezeichnet, der im Winter vom Mittelmeer kühler und kräftiger weht, als man glaubt.
Die kleine Bucht unter mir war menschenleer. Es war eine von vielen, die das Meer seit Jahrtausenden in die Küste der Costa Brava geschnitten hatte. Einige Kilometer nördlich verlief die französisch-spanische Grenze, und südlich von mir begann die Touristenhölle, wo dem Menschen in seiner Gier in ein paar Jahrzehnten zu ruinieren gelungen war, was Generationen bewohnt hatten, ohne es zu zerstören oder zu verändern.
Innerhalb weniger Jahre war die spanische Mittelmeerküste radikaler umgestaltet worden als in den vorausgegangenen zweitausend Jahren. Aber hier oben an der Grenze besaß die Landschaft noch immer einige ihrer ursprünglichen Qualitäten.
Das Meer lag azurblau und schneidend wie eine retuschierte, computerproduzierte Postkarte unter der klaren, goldenen Sonne. Ich sah Jachten gegen die Meeresbrise kreuzen und ein paar teure Rennboote weiße Streifen durchs Wasser ziehen, aber die Bucht unter mir war still und ohne menschliche Spuren. Ich kam mir vor, als wäre ich ein Entdeckungsreisender, der sie zum ersten Mal sah. Es war eine der zahlreichen Buchten, die nur vom Meer zugänglich waren. Die Felsküste fiel steil ab.
Vielleicht konnte ein erfahrener Bergsteiger den überhängenden Felshang bezwingen, aber gewöhnliche Touristen sollten eher ihre Finger davon lassen. Die Bucht war, was die Reisebroschüren versprachen: ein privater, schöner und unberührter Flecken im plappernden Touristenmeer.
Ich lag ein wenig schräg dazu, so daß ich einen guten Schußwinkel über das Meer und den schmalen Sandstreifen der Bucht hatte, der ansonsten durch einen Überhang in dem knorrigen Felsen vor neugierigen Augen geschützt war. Wer es nicht wußte, würde nie entdecken, daß sich zu Füßen des Felsvorsprungs eine malerische Bucht befand. Zwei gezackte Felsriffe einige wenige Meter draußen verbargen sogar von See den grauen, pulverigen Sand vor neugierigen Blicken. Die Stelle war völlig ungestört, es sei denn, man machte sich mit einem Fernglas die Mühe und wußte, wonach man Ausschau hielt. Ein perfekter Ort, um allein zu sein. Oder allein zu zweit.
Die Turteltauben hatten sich einen guten Platz ausgesucht, dachte ich auf dänisch, wie so oft, wenn ich allein war und auf einen Hit wartete. Wenn ich meine Gedanken auf die wenigen Hundertstelsekunden konzentrierte, die mich von Erfolg oder Fiasko trennten, und sie gleichzeitig schweifen und den Windungen im Labyrinth der Erinnerungen folgen ließ, an meine beiden Lieben zu Hause dachte oder mir Filme und Bücher und Liebesaffären ins Gedächtnis rief, um die Zeit zu einem Nichts werden zu lassen. Zu nada. Zu einem nicht existierenden Zustand, damit die Langeweile nicht in Ungeduld überging, da man sonst nicht bereit war, wenn der Augenblick da war, der Augenblick der Wahrheit. Wenn sich der Unterschied zwischen Erfolg und Fiasko nur in wenigen Hundertstelsekunden entschied.
Ich beobachtete die Rennboote. Das eine raste in hohem Tempo die Küste entlang und zog einen wie mit dem Lineal gezeichneten Kielwasserstreifen hinter sich her, während das zweite den Kurs änderte, die
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