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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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es drauf ankäme. Aber das Leben war eine einzige Scheiße. Ich sah mich in dem Spiegel überm Bett und konnte mich selber nicht ausstehen. Strähniges Haar, blutunterlaufene, verzweifelte und rasende Augen. Die Sehnsucht nach Amelia und Maria Luisa war so groß wie an dem Tag, als sie von mir gegangen waren.
    Irgendwann in später Nacht spürte ich ihre Anwesenheit im Zimmer, und ich sprach mit ihnen, und sie antworteten mir.
    Gottlob verlosch ich wie eine Kerze.
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit zitternden Händen, brennendem Magen und hämmernden Kopfschmerzen. Das Zimmer stank nach Rauch und Schnaps. Von der Calle Echégaray kam der Lärm des polternden Müllwagens, der durch die schmale Gasse rumpelte. Das war ein Klirren und Dröhnen, ein metallisches Kreischen und der Krach wie von tausend Becken. Die Warnrufe der Müllmänner für die Passanten, die sich an die Hauswände drücken mußten, fluteten durch das offene Hotelfenster. Ich rollte mein Bettzeug zusammen und schmiß die Sachen, in denen ich geschlafen hatte, in den Papierkorb. Das Hotel Inglés hatte sicher schon Schlimmeres erlebt. Ich trank ein paar Flaschen Mineralwasser und spülte zwei Panodil mit Cola hinunter. Ich ließ mich nicht zu dem leeren Schwur hinreißen, es nie wieder zu machen. Ich kannte meine Schwäche, aber vielleicht konnte die Selbstverachtung doch konstruktiv verwendet werden. Würde ich mich je wieder im Spiegel ansehen wollen? Waren Maria Luisa und Amelia heute nacht wirklich im Zimmer gewesen? Was hatten sie gesagt? »Du darfst dich nicht umbringen«, meinte ich sie sagen zu hören.
    »Du darfst uns nicht wegsterben!« Aber das war doch nicht wahr. Denn sie waren doch mir weggestorben. Sie waren von mir gegangen. Darin lag doch die ganze Ungerechtigkeit.
    Ich badete ausgiebig, ging frisch gekleidet in die nächste Bar und trank einen riesigen Milchkaffee und noch eine Flasche Wasser. Die Straße summte ihre Montagsnormalität. Der Lärmpegel war um etliche Dezibel gesunken. Die Straße roch sauber, nachdem der Wasserwagen den Dreck des Wochenendes in die Kloaken gespült hatte. Ich fühlte mich besser und grüßte Bekannte und Barkeeper, die vor ihren Läden standen. Das frühe Licht war weich, die Landschaft der Stadt duftete frisch und neu, und die Hitze hatte sich noch nicht festgebissen und ihre feuchtwarme Decke über Madrid gebreitet.
    Dann packte ich meine zweite Jeans und das letzte T-Shirt und Hemd, Socken, Unterwäsche und Kulturbeutel in meine Tasche und trug den Koffer mit den Fotos zum Empfang hinunter.
    Selbstverständlich würden sie den Koffer aufbewahren. Er konnte in den Keller gebracht werden. Dort konnte er stehen, solange ich wollte. Solange das Hotel Inglés bestehe, und immerhin hatte es Revolution und Bürgerkrieg überlebt, sagte Carlos. Ich rief die SAS an, buchte meinen Flug und bestellte ein Zimmer im Hotel Royal in Kopenhagen. Das gab mir Zeit, noch etwas zum Anziehen zu kaufen und zu Mittag eine Gemüsesuppe und eine Forelle zu essen, dazu trank ich wieder Wasser.
    Erst im Flugzeug nahm ich einen Bloody Mary und merkte, wie sich meine flatternden Nerven beruhigten. Ansonsten hielt ich mich an ein Viertel Wein, verdrängte mein schlechtes Gewissen und schlummerte ein. Ich erwachte, als sich das Motorengeräusch änderte und der Druck in meinen Ohren abfiel.
    Vor dem kleinen Fenster erstreckte sich der glitzernd blaue Öresund, übersät von Myriaden farbenprächtiger Segelschiffe, aber das Überraschendste für mich waren die Brückenteile, die von beiden Küsten wie zwei Hände, die sich ergreifen wollten, aufeinander zuwuchsen. Und die Pylonen, die sich wie Gewächse aus dem Meeresboden erhoben. Entweder hatte man in kurzer Zeit sehr viel geschafft, oder die Maschine hatte einen anderen Anflugweg gehabt, als ich ein Jahr zuvor in Dänemark gewesen war, um mit einem der vielen neuen Regenbogenblätter zu verhandeln, die Sensationsmeldungen über Königshaus und Prominente verbreiteten oder vom einträglichen Tratsch über bekannte Mitglieder des Königshauses lebten, die glücklich oder unglücklich waren.
    Kopenhagen war wie immer, mit dem Gewimmel bunter Fahrräder und dem ruhig gleitenden Verkehr eine im abendlichen Sonnenschein schmucke Stadt. Die Leute maulten über die Wärme, aber nach dem Würgegriff der Affenhitze in Madrid empfand ich sie mit ihrem schwachen salzigen Duft, der vom Sund herüberkam, eher als angenehm und frisch.
    Ich rief niemanden an und blieb im Hotel, ließ meine

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