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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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dich wiederzusehen, Clara«, sagte ich.
    Sie reichte mir ihre kühle, feste Hand, nahm dankend einen Kaffee und setzte sich mir gegenüber. Wir erzählten ein bißchen von Spanien und Dänemark, und wie alle Dänen lobte sie das gute Wetter, als hätte unser Herrgott ausgerechnet in diesen Tagen mit seiner Sonne und dem sanften Wind seine Gnade auf Kopenhagen niedergehen lassen.
    Es herrschte einen Augenblick ein etwas verlegenes Schweigen, das ich durchbrach, indem ich ihr Kaffee einschenkte und Feuer gab und ein paar Worte über das Wetter in Kopenhagen und in Madrid und die Überschriften der Sauregurkenzeit verlor und wieso Japaner immer in Gruppen reisen.
    Dann beugte sie sich vor und sagte: »Was kann ich für dich tun?«
    Die Frage überraschte mich. Ich hatte mir vorgestellt, sie würde mich fragen, was ich ihr mitgebracht hätte, und deswegen sagte ich: »Erst muß ich dir was erzählen, aber es kann etwas dauern.«
    »Ich hab massenhaft Zeit«, sagte sie.
    Ich erzählte ihr von dem, was im Bereich der Ermittlungen geschehen war, seit wir uns zuletzt gesehen hatten, damals, als mein Leben noch ganz anders aussah. Ich hatte auch eine ganz irrationale Lust, ihr persönlichere Dinge zu erzählen, aber ich war ja nun mal nicht mehr zwanzig und nicht mehr so naiv.
    Beim Kaffee berichtete ich ihr von San Sebastian, Don Alfonzo, dem Verdacht der Madrider Polizei, dem Obduktionsbericht und dem Abhörprotokoll, das ich ihr zeigte. Sie hörte kommentarlos zu und las das Protokoll so schnell, als wäre sie gewohnt, derlei Dokumente in sich aufzunehmen. Ich war ihr dankbar, daß sie nicht noch einmal ihr Mitgefühl ausdrückte. Ich konnte das nicht mehr ertragen.
    Sie lauschte aufmerksam, während sie mich ansah und ihren Kaffee trank. Als ich das Verhör in San Sebastian erwähnte, ohne ins Detail zu gehen, streckte sie den Arm aus und berührte die fast verheilte Wunde am Auge.
    »Du siehst etwas mitgenommen aus, so im großen und ganzen«, sagte sie. »Älter. Und verbraucht. Man kann alle Schmerzen in deinen Augen sehen.«
    »Du sagst ja Sachen«, sagte ich. »Wir kennen uns doch gar nicht.«
    »Ich finde nun, ich kenne dich«, sagte sie.
    »Das versteh ich nicht.«
    »Falls es dir Freude bereitet: ich auch nicht«, sagte sie.
    Ich sah sie an, und sie wich meinem Blick nicht aus, aber ich konnte in ihren Augen nichts lesen, so daß ich mit Las Ventas weitermachte.
    Am Ende zog ich die beiden Fotos aus der Tasche. Das eine, das sie nach Madrid mitgebracht hatte, und das andere, das Lola mit der Gruppe bärtiger Männer zeigt. Sie schaute sie sorgfältig an.
    »Kennst du ihn?« fragte sie dann.
    »Ja. Soweit bin ich im alten Dänemark schon noch auf dem laufenden. Er ist heute Mitglied des Folketings.«
    »Stimmt. Aber kennst du die anderen?«
    »Ja und nein. Ich kann mich an die Frau erinnern«, sagte ich.
    »Das tun bestimmt alle. Es ist ein fabelhaftes Bild.«
    »Eigentlich nicht. Es ist unterbelichtet, und die Komposition ist nicht viel wert.«
    Sie lachte sehr mädchenhaft und gleichzeitig sehr erwachsen.
    »Ich denke nicht so sehr an das Künstlerische, Peter. Es sind die Personen. Sie haben mich einen wesentlichen Schritt weitergebracht.«
    Eigentlich war mir die aktuelle Bedeutung des Fotos für den Polizeilichen Nachrichtendienst egal, aber ich mochte ihr Lachen und ihren Gesichtsausdruck, und zum ersten Mal seit undenklichen Zeiten empfand ich eine erotische Lust, so daß ich, ohne näher darüber nachzudenken, sagte: »Na gut. Wenn dich das so glücklich macht, dann mußt du auch dafür bezahlen, und zwar mit einem Ja zu einem gemeinsamen Essen, solange ich in Kopenhagen bin.«
    Sie sah mich an. Sie hatte kleine charmante Fältchen um die Augen, und ihr Mund hatte eine fast unmerkliche Einbuchtung auf der Oberlippe. Ihre Brauen waren für eine Frau etwas kräftig, aber sie verliehen den feinen Gesichtszügen und dem weichen Mund mit dem besonderen Amorbogen Charakter. Ihre Haut war braun, aber eigentlich sehr hell und rein, sehr nordisch.
    Ich hatte Lust, sie in einem Atelier in Madrid vor der Kamera zu haben, am Nachmittag, dann konnte man ein weiches Oberlicht über ihre Stirn legen, ihre sanften Augen in den Brennpunkt bringen, damit den Gesamteindruck verändern und den Blick des Betrachters auf den Mittelpunkt des Gesichts lenken, so daß man ihre etwas zu großen Ohren übersah.
    »Dazu hätte ich sowieso ja gesagt, ob nun mit Foto oder ohne«, sagte sie. »Aber erst mal müssen wir etwas genauer

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